Mit Ansage ein ernster Kandidat auf den Thron des Jahres: Courtney Barnett und ihr exzeptionell cleveres, witziges und berührendes Debüt. Die Australierin hatte vor ein, zwei Jahren bereits mit zwei EP’s und dem Indie-Blogosphären-Hit „Avant Gardener“, samt ulkigem Video auf sich aufmerksam gemacht. Schludrig, aber gewieft kam sie daher, doch auf „Sometimes I Sit And Think And Sometimes I Just Sit” kommt eine ausgereifte, staunend machende Lässigkeit hinzu.
Die Barnett ist eine Storytellerin im Indie-Rock, aber sie ist keine Singer/Songwriterin zartbesaiteter Schule. Sie mochte Nirvana, das hört man. Das Schlagzeug hat Wumms, die Riffs jaulen gerne mal durch. Aber vor allem hat sie ein gesundes Verhältnis zu ihrem eigenen Selbstverwirklichungskram: Courtney Barnett nimmt sich selbst nicht allzu ernst, ihre Band firmiert nonchalant unter dem Namen „The Courtney Barnetts“.
Ihre nur augenscheinlich lapidar wirkenden Everyday-Life-Banalitäten rücken sie in eine weibliche Versionsecke von Indie-Erzählgröße Steven Malkmus, nur weniger obskur und undeutlich, wenn sie erzählt, wie sie sich beim Schwimmen in den jungen Mann auf der Nebenbahn verliebt, aber nicht so ganz sicher sein kann, weil die Schwimmbrille beschlägt. Ganz klar, ihre stärkste Lyric-Waffe ist der gesunde Abstand zu sich selbst, also ihr Humor, der jede noch so düstere oder bittere Gemütslage erzählerisch zu entschärfen versteht. Ob ein sich erklären müssender junger Liebhaber von Gebäudedächern bei „Elevator Operator” („I’m not suicidal, just idling insignificantly / I come up here for perception and clarity / I like to imagine I’m playing Sim City“), oder das Großreinemachen eines leidigen Beziehungswirrwarrs in dem Single-Kracher mit Clown-Video „Pedestrian At Best“ („Put me on a pedestal and I’ll only disappoint you / Tell me I’m exceptional, I promise to exploit you / Give me all your money, and I’ll make some origami, honey“): Die Barnett ezählt’s mit einem Augenzwinkern, mit einem Lächeln.
Doch mitnichten verbucht „Sometimes I Sit And Think…“ lediglich charmanten Witz. Ihr schwungvoller Indie-Rock erfährt regelmäßig Brechung, allen voran die großartig Hawaii-esque Ballade und zweite Single „Depreston“, über das heikle First-World-Problem der Wohngegendwahl. Es sind Endzwanziger-Reflexionen wie auf dem zuschnürenden „Kim’s Caravan“, die die Barnett lyrisch von einem Klamauk-Künstler distinguieren: „I see a dead seal on the beach / The old man says he already saved it three times this week / Guess it just wants to die / I would wanna die too / With people putting oil into my air but to be fair I’ve done my share / Guess everybody’s got their different point of view“. Ganz ehrlich: Das sind die Stimmen, mit denen wir 2015 mitsingen sollten und nicht mit Grammy-Bühnen stürmenden, sich für Jesusinkarnationen haltenden gay fishs.
Und wer ganz nebenbei mit „An Illustration Of Loneliness (Sleepless In New York)“ eines der schönsten heimlichen Liebeslieder des Jahres lässig aus dem Handgelenk rockt („Watching all the movies / drinking all the smoothies / I think about you too“), der sollte selbst die humorlose Fraktion überzeugt haben. Courtney Barnett schreibt tolle Songs, erzählt zuhörenswerte Geschichten und beweist ganz nebenbei, dass Frauen im Rock nicht entweder super sexy oder super tough sein müssen, sondern durchaus ganz sie selbst sein können. Ein bisschen albern, ein bisschen verlottert, ein bisschen verpeilt und ziemlich großartig.