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Blur – The Magic Whip

Was doch eine Festival-Stornierung für angenehme Folgen haben kann. Hatte die seit Ende der Nuller-Jahre wieder gemeinsam tourende Band Blur doch im Mai 2013 in Asien plötzlich einige Tage frei und schon entstand in den Hongkonger Avon-Studios Material für die erste Platte nach zwölf Jahren. Und die weist keineswegs den meist etwas faden Beigeschmack von Comeback-Alben auf, denn was die Herren hier auf den Tonspuren verewigt haben, übertrifft die Erwartungen an dieses ohnehin nicht für möglich gehaltene Revival deutlich.

Dabei sind keine Damon Albarn feat. Blur-Aufnahmen entstanden, sondern eine Quintessenz aus Bestands-Tugenden und den Einflüssen der Solo-Projekte der letzten Jahre, die nur mit den vier Musikern gemeinsam funktionieren kann. Das liegt nicht unwesentlich daran, dass Gitarrist Graham Coxon nach seinen Ausflügen in die merkwürdige Welt der Noise-Experimente wieder in Vollmitgliedschaft mit an Bord ist und neben dem Frontmann in den ihm angemessenen Rahmen agiert. Er bereitete zusammen mit Haus und Hof Produzent Stephen Street die Demo-Aufnahmen auf, sezierte, veredelte und setzte die Einzelteile neu zusammen.

Was dabei herausgekommen ist, ist nicht nur abwechslungsreich, sondern versprüht bei aller Routine der Protagonisten die Frische und den Charme einer Schülerband. Dabei verlieren die Musiker ihr Erbe nicht aus den Augen, fühlen sich aber dem gegenüber nicht grundsätzlich verpflichtet. Die entstandenen Interpretationen des Pop treiben unaufhörlich eine knisternd-groovende Mischung aus Elektro, Frickel-Versätzen, Hip-Hop und Soul vor sich her, um die Coxons Gitarrenspiel eine Schleife zu binden scheint.

Wenn der Opener „Lonesome Street“ den Reigen eröffnet und Albarn sich voller Verachtung über die Konsumkultur auslässt, sind die Britpop-Intelektuellen gleich voll in der Spur und lassen keinen Zweifel daran, dass Modern Life rubbish ist und bleibt. Dieses Stück erinnert mit seinem lässig-griffigen Riff und dem Singalong-Refrain noch am ehesten an das, was die Band einst via „Parklife“ groß machte, danach erschreckt und erstaunt das Album gleichermaßen, bleibt dabei jedoch immer spannend. Ob sich in „Pyongyang“ aus fernöstlichen Klängen zartschmelzend die Struktur eines Songs entwickelt, in „Mirrorball“ der Bass von Alex James auf Gummisohlen durch den Song geistert, oder sich „Ong Ong“ seine geballten oh-uh-ohs verbreitet – zuhören macht immer Spaß.

Noise-Kracher Marke „Song 2“ finden sich auf dem Album nicht, wenn gerockt wird, dann in schräg-verschrobenen Slow-Varianten wie in „I Broadcast“ oder „Go Out“. Es geht aber auch stiller wie im – Albarns Solo-Album „Everyday Robots“ am nächsten stehenden – „Ice Cream Man“ oder in „There Are Too Many Of Us“, in dem die Weltbevölkerung im Marsch-Rhythmus lemming-artig auf die letzte Klippe zusteuert. Highlights oder Anspiel-Tips zu definieren, fällt aufgrund des Gesamteindrucks schwer, vielleicht sind das sich mit Reggae-Widerhaken ins Ohr bohrende „Ghost Ship“ und das zwischen Minimalismus und Aufbrausen pendelnde„My Terracotta Heart“ dafür die richtige Wahl.

“The Magic Whip” schließt nicht seinen Frieden mit der Blur-Historie, sondern öffnet triumphierend den Weg in eine spannende, neue Band-Epoche.

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