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Stealing Sheep – Not Real

“Sheep stealing” bezeichnet im Englischen den Wettstreit zweier Kirchen oder Glaubensrichtungen um  möglichst musikalisch oder anderweitig talentierte Gemeindemitglieder, Schäfchen also. Gut vorstellbar, dass Rebecca Hawley, Emily Lansley und Lucy Mercer alias Stealing Sheep seit frühester Jugend daran gewöhnt sind, dass man sich um sie bemüht: Die Musik des Trios aus Liverpool ist so ungewöhnlich und dabei derart catchy und poppig, dass man schon sehr weit ausholen muss, um Vergleiche zu finden. Von britischen Girlbands wie All Saints, Sugababes und Warpaint über amerikanischen Folk á la The Mamas and Papas über Hall & Oates, The Cure und Fun Boy Three reichen die vermuteten Einflüsse.

Stealing Sheep selbst nennen Paul Simon, alt-J, Dirty Projectors, Haunted Grafitti by Ariel Pink, Santigold und Can als Vorbilder. Dazu kommen, hörbar vor allem beim Debütalbum “Into the Diamond Sun” (2012) mittelalterliche Anmutungen in Kompositionen, Arrangements und Gesangsstrukturen, die den dreien  nicht wirklich bewusst waren, bis ein Journalist sie darauf ansprach. Möglicherweise rührt der intuitive Umgang mit der Vergangenheit daher, dass eine der Musikerinnen aus einer ländlichen Gegend stammt, in der seit Jahrzehnten Mittelalter-Folk-Festivals stattfinden  – pagan by accident, sozusagen.

In jedem Fall ist die Musik von Stealing Sheep eine bunte, heterogene und unkonventionelle Mixtur, der man sich nicht entziehen kann. Ihr zweites Album “Not Real” besteht aus zehn veritablen Ohrwürmern, ohne einen einzigen Hänger. Das ist selten genug, und wenn die Zeitschrift MOJO schlicht von “10 masterpieces” schreibt, ist das kein Stück übertrieben. Der Titelsong ist so be- und verzaubernd, als würden Lush, Bananarama und Stereolab eine Küchensession hinlegen – ach, schon wieder Vergleiche, und dabei sind Stealing Sheep wirklich einzigartig.

Mittelalterliches findet sich auf “Not Real” kaum, eher stilsicheres crate digging in der jüngeren Vergangenheit, siehe oben. Emily, Lucy und Rebecca können wunderherrlichsten Chorgesang und zelebrieren ihre instrumentalen Fertigkeiten, ohne auch nur eine Sekunde lang in high-brow-Expertenmuckertum abzudriften. R’n’B-Elemente treffen auf Psych-Folk und britisch perfekten Pop im Geist der Achtziger Jahre.

Alle Stücke – besonders “She” oder “Evolve And Expand” – sind super eingängig und zugänglich. Elektronisch und organisch, tanzbar und anspruchsvoll, und um nochmals einen Vergleich zu bemühen: Auch wenn die Musik anders klingt, fühlt man sich vom spirit durchaus an die jungen Talking Heads erinnert. Stealing Sheep haben, beinahe möchte man schreiben, “trotz” ihres enormen Talents, vor allem viel Spaß bei der Sache. Ein Journalist schrieb unlängst über Stealing Sheep, dass sie beim Interview viel gekichert hätten – diese Freude am Tun spiegelt sich in jedem einzelnen Song wider. “Not Real” ist schon jetzt ein sicherer Anwärter aufs Lieblingsalbum des Jahres 2015.

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