Man mag es fast vergessen haben, bei derlei Fürchterlichkeiten, aber das mit dem Crossover und Limp Bizkit und Korn ist ein Missverständnis. Ursprünglich bezeichnete jener Genrename eine grenzenlose und -überwindende Spielart härterer Rockmusik, die durchaus dazu beitrug, den alten Riesen Rock im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht irrelevant werden zu lassen. Deren wahrscheinlich wichtigste Gründungsväter, die Anfang der Achtziger ins Leben gerufenen Faith No More, sind nach 18 Jahren zurück mit ihrem siebten Album.

Man kann dies noch so trocken schreiben, das ist schon ein bisschen unglaublich. Zwanzig Jahre ist ihr Meilenstein „King For A Day, Fool For A Lifetime“ inzwischen alt, ein bis heute herausragendes und kraftvolles Signum, zu welch Facettenreichtum harte Rockmusik in der Lage ist. Mike Patton, diese streitbare, lexikalisch gewordene Galionsfigur der alternativen Experimentiermusik, kennen junge Leute nur noch als Referenz, dass er mal in einer legendären Band war (was ihm wiederum erlaubt, von italienischen Schlager bis Psychiatrie-Wahnsinn-Gekreische alles zu machen, wonach ihm der Sinn steht). Diesen Mike Patton wieder nebst seiner alten Kombo singen und schreien zu hören, und zwar neues Material, nicht alte Kammellen, wer hätte das noch für möglich gehalten?

Gepriesen sei die versöhnende Kraft von Hochzeiten. Natürlich endete die Sache damals, 1998, in Gezänk, natürlich wurde dieser charismatische Bandleader Patton größer, als die Summe seiner Bandteile zusammen, und natürlich scheiterte er ein wenig an dieser Bürde. Unter dem heiligen Banner einer Eheschließung, so will es die Mär, rauchten Schlagzeuger Mike Bordin, Bassist Billy Gould und Patton vielleicht Friedenspfeifen, wer weiß, und siehe da, ab 2009 gab es – just for fun – Comeback-Auftritte. Das knarzte so gut zusammen, dass man dies die nächsten Jahre ritus-mäßig auf ausgewählten Festivals weltweit wiederholte. Irgendwann 2012 fiel die Entscheidung, in den letzten beiden Jahren kamen Faith No More unregelmäßig heimlich zusammen und schraubten an einem neuen Album.

Es mag ein wenig unfair sein, ein Alternative-Rock-Meisterwerk wie „King For A Day, Fool For A Lifetime“ unmittelbar im Anschluss an dieses Comeback-Album zu hören, denn derart sagenhaft ist es nicht, aber „Sol Invictus“, benannt nach dem römischen unbesiegten Sonnengott, ja, weniger pathetisch sind Patton und Faith No More mit den Jahren nicht geworden, ist verdammt gut.

Vor allem der Start: Faith No More’s Markenzeichen, ein Ehrerbietung forderndes E-Piano, in Verbindung mit hart groovenden Rock-Riffs, bricht sich unmittelbar Bahn im Opener. Brodin trommelt hier ein Gefühlsbeben zusammen, dass einem schön schaudert, und Patton gibt den Zeremonienmeister wie eh und je. Willkommen, Gemeinde. „Superhero“ etabliert dann völlig, was man so lange vermisst hat seit Patton, Gould, Bordin und Co getrennte Wege gingen: eine harte Fusion aus Stilen, Crossover, der die Neunziger atmet und versprüht. Ein Rock-Riff hier, ein Metal-Basslauf dort, ein schizophrenes Geschrei, gefolgt von einem flüsternden Sing-Sang, Grusel-Synthies und Jazz-Piano-Momente.

Mutmaßlich mag dies das handwerklich ausgefeilteste Album ihrer Bandgeschichte sein, na klar, alles keine Jungspunde mehr. Doch auch wenn das furiose Anfangsniveau im späteren Albumverlauf nicht gehalten werden kann, rocken und stampfen sich Faith No More auf pathetischen Krachern wie „Sunny Side Up“, „Separation Anxiety“ oder „Rise Of The Fall“ mühelos zurück in die Herzen ihrer in die Jahre gekommen Anhängerschaft.

Und vielleicht ist das die einzige Kerbe, die diese Musik ungewollt schlägt. Wie schon Soundgarden vor ein paar Jahren haben hier hervorragende Musiker einen beeindruckenden direkten Anschluss an etwas gefunden, dass sehr sehr lange, manch einer mag sagen zu lange, zurückliegt. „Sol Invictus“, wie Soundgardens „King Animal“, bricht Fraktionen auf und baut keine Brücken, es negiert die achtzehn Jahre, die zwischen den letzten beiden Alben lagen vollkommen. Jene über dreißigjährige, die mittels Faith No More in den Neunzigern, geschweige denn Achtzigern, bereits Gefühle ventilierten, werden unisono „hell, yeah“ ausrufen. Diejenigen, die sich in den Neunzigern nicht verliebt und besoffen, sondern Fangen gespielt haben, werden nicht annähernd die gleiche Reaktion zeigen.

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