Sounds transportieren Lebensgefühle. Und Gefühle lassen sich bekanntlich schwer in Worte fassen – man empfindet sie oder eben nicht. Und vor allem sind sie höchst subjektiv. Die passenden Worte für den Sound von Grimes zu finden, verlangt einem so ziemlich alles ab. Die kanadische Sängerin – ziemlich unbekannt unter ihrem echten Namen Claire Boucher – verweigert sich ganz bewusst diesem Schubladendenken, genannt Genre.
Grimes kombiniert die unterschiedlichsten Stile lieber ganz frei, sprengt die zu eng gewordenen Korsetts auf. Dabei ähneln ihre Platten einer bunt gemischten Tüte: Man weiß zwar vorher nicht genau, was drin ist, man ahnt es aber und freuen tut man sich sowieso. Solang keine Salzheringe aus Lakritz oder diese weißen Speckmäuse drin sind … die sind nämlich nichts für den allgemeinen Geschmack!
Grimes‘ neues Album „Art Angels“ ist einmal mehr ein Toast auf die musikalische Experimentierfreudigkeit, ein Manifest zur Vielfalt. Die Rechnung der kanadischen Sängerin, die zugleich auch Songwriterin und Musikproduzentin ist, geht ziemlich einfach: Im Detail klingt Grimes nach so ziemlich allem, was man jemals gehört hat, die Gesamtheit aber nach etwas noch nie da Gewesenem. Vielleicht liegt das an dieser Kreativ-Metropole Montreal, wo Grimes in ihrer Studienzeit in einer stillgelegten Textilfabrik stets Neugierde walten ließ bei der Suche nach neuen Ausdrucksformen in Performance und Kunst. Schon hier experimentiert sie mit musikalischen Kompositionen, Arrangements, Instrumenten und Klangerzeugern.
„Art Angels“ ist das Album eines Pop-Idols aus einer anderen Raum-Zeit-Dimension. Bisweilen eckt es an, provoziert mit Songs wie „California“ (weil an zweiter Stelle!), „Pin“ oder „World Princess Part“, die anmuten wie Stücke eines einfach gestrickten, schlechten (pardon!) Pop-Albums. Da sehnt man sich die heiß geliebte Skip-Funktion herbei, weil es in den Ohren schmerzt. Sogleich wird man versöhnt mit 1-A-Songs wie „Belly Of The Beat“, „Easily“ oder „Life In The Vivid Dream“.
Grimes sucht sich immer neue Quellen der Inspiration. Für ihren eigenen Sound sind jedoch etablierte Künstler wie Christina Aguilera, Mariah Carey, Enya, Lana del Rey, Madonna, Marilyn Manson, Nine Inch Nails, OutKast, TLC oder auch Aphex Twin von großer Bedeutung. Grimes wilde Klang-Mixtur spiegelt sich auch in ihrem Namen wieder. Am Anfang ihrer Karriere, die 2010 ins Rollen gekommen ist, ordnete man ihre Musik einem Subgenre des Drum ’n‘ Bass zu, dem Grime. Daraus wurde ihr Künstlername, der bis heute Bestand hat.
„Art Angels“ ist poppiger als das Vorgänger-Album „Visions“ (2012), hat irgendwie einen fröhlicheren Ton drauf. Erstmalig experimentiert Grimes auch mit Instrumenten, etwa Gitarre oder Geige. Dadurch kommt ein Gemisch aus Rock/Emocore („Scream“), EDM („Venus Fly“) sowie Elektro-Pop („Butterfly“) zustande. Ein Erlebnis mit ziemlich vorhersehbaren Anspieltipps: „Kill V. Maim“, „Realiti“, „Venus Fly“, „Butterfly“.
„Art Angels“ ist ein Album, bei dem eben nicht alles stimmt. Bei einer solchen Mixtur an unterschiedlichen Genres muss ein Geschmack zu kurz kommen, ein Hörer enttäuscht werden. Das nimmt Grimes bewusst in Kauf und hat auch noch Freude dabei.