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Ich will die Rollen des Künstlers und des Publikums dekonstruieren – Bianca Casady im Interview

Als CocoRosie spielt Bianca Casady zusammen mit ihrer Schwester Sierra seit zwölf Jahren naiv-kindlichen Freak Folk, nun veröffentlicht sie zum ersten Mal unter ihrem eigenen Namen Musik. Ganz auf sich alleine gestellt war die in Hawaii geborene Musikerin allerdings auch bei ihrem Debütalbum „Oscar Hocks“ nicht, stattdessen scharte sie mit The C.i.A. ein Künstlerkollektiv aus Musikern, einem Videokünstler sowie dem Tänzer Bino Sauitzvy um sich, das die Songs live als Theater- und Konzert-Performance aufführt. Ohne ihre Schwester Sierra schreibt Bianca Casady windschiefe Songs zwischen Folk, Country und Jazz, die die Naivität von CocoRosie gegen eine düstere und mysteriöse Stimmung eintauschen. Wir sprachen mit Bianca Casady über ihre Arbeit am Theater, ihre ungewöhnliche Rolle bei ihren Konzerten und den Einfluss eines 100 Jahre alten Klaviers auf den Sound von „Oscar Hocks“.

MusikBlog: Deine neue Band The C.i.A. und deine aktuelle Show entwickelten sich aus dem Bühnenstück „Mother Hunting“ heraus, das du letztes Jahr in Norwegen aufgeführt hast. Wie kann man sich dieses Theaterstück vorstellen?

Bianca Casady: Ich wurde damals von einem norwegischen Theater als Gastregisseurin eingeladen. Als ich dort ankam, hatte ich noch kein fertiges Stück, nur Kostüme, Bilder und grobe Skizzen der Charaktere. Das Stück wurde also in zwei Monaten vor Ort geschrieben. Das war ein sehr experimenteller Prozess, weil das Stück eigentlich erst kurz vor der Premiere fertiggestellt wurde, während man ja normalerweise ein Stück erst schreibt, dann einstudiert und schließlich aufführt.

MusikBlog: „Mother Hunting“ war bereits dein zweites Theaterstück nach dem Ballett „Nightshift – Feeble Ballet“  im Jahr 2012. Hast du irgendeine Art von Ausbildung in diesem Bereich?

Bianca Casady: Nein, vor „Nightshift“ hatte ich überhaupt keine Erfahrung auf diesem Gebiet. Zwischen diesen beiden Stücken haben wir mit CocoRosie die Musik für zwei Theaterwerke komponiert, aber zuvor hatte ich nie in irgendeiner Art am Theater gearbeitet. Dennoch fühlte ich mich dort von Beginn an sehr wohl.

MusikBlog: Und hast du als Zuschauer oft das Theater besucht?

Bianca Casady: Überhaupt nicht. Diese Entwicklung war auch für mich überraschend, weil mich das Theater wirklich nie interessierte. Mittlerweile ist es aber der Ort, an dem ich mich als Künstlerin am meisten zu Hause fühle.

MusikBlog: Bei „Nightshift“ hast du zum ersten Mal mit dem Tänzer und Choreograph Bino Sauitzvy zusammengearbeitet, der nun auch Teil von The C.I.A. ist. Welche Rolle hat er bei euren Shows?

Bianca Casady: Er spielt eine Vielzahl von Charakteren, die wir seit „Nightshift“ zusammen entwickelt haben. Meine Songs hängen ebenfalls mit diesen Charakteren zusammen, er visualisiert also die Erzählungen der Musikstücke. Ich stehe bei den Shows eher im Hintergrund, während er den zentralen Platz im Rampenlicht einnimmt und manchmal sogar mich verkörpert.

MusikBlog: Es ist ein recht ungewöhnlicher Ansatz, dass du bei den Shows zu deinem eigenen Soloalbum gar nicht im Zentrum stehst.

Bianca Casady: Bino verkörpert viele verschieden Facetten meiner Identität durch die verschiedenen Charaktere – also geht es da schon um mich, nur eben losgelöst von meinem Körper.

MusikBlog: Mit The C.i.A. entfernst du dich von der Idee des traditionellen Konzertes und erschaffst stattdessen ein transdisziplinäres Ereignis mit Theater- und Tanz-Elementen, aber auch einer Video-Installation. Beruht dieser Ansatz auf deiner Arbeit im Theater?

Bianca Casady: Ich nähere mich mit meiner Kunst der Idee eines holistischen Gesamtkunstwerkes an. Es fällt mir schwer, mich nur auf ein Medium oder nur auf eine Kunstrichtung zu beschränken. Diese Art von Shows fühlt sich für mich daher selbstverständlich an, weil ich stets nicht nur Musik, sondern auch Bilder, Bewegungen, Inszenierungen dazu im Kopf habe.

MusikBlog: Warst du von dem traditionellen Ablauf eines Konzertes vielleicht auch ein wenig gelangweilt?

Bianca Casady: Als Künstlerin hat mich diese strenge Vorstellung von einem Konzert, bei dem auf der einen Seite das Publikum, auf der anderen Seite die Künstlerin steht, sehr ermüdet. Ich wollte die Wand zwischen diesen beiden Parteien niederreißen und die Rollen des Künstlers und des Publikums dekonstruieren.

MusikBlog: Spielt ihr bei diesen Shows auch Songs aus den Theaterstücken?

Bianca Casady: Den ersten Song des Albums „Hay Lofts“ habe ich schon vor einer ganzen Weile geschrieben und auch in „Mother Hunting“ verwendet. Und es sind auch noch andere Songs aus den Stücken Teil der Show, die aber nicht auf dem Album gelandet sind. Das überschneidet sich alles und lässt sich nicht so leicht trennen, weil ich mich mit vielen Ideen oder Geschichten über Jahre beschäftige.

MusikBlog: Wie viel dieser Shows ist geplant, wie viel improvisiert?

Bianca Casady: Der Ablauf der Shows ist recht genau definiert, Improvisation findet also nur innerhalb dieser klaren Struktur statt. Es gibt Kapitel, jeder Song hat bestimmte Visuals und eine Handlung und nur in den Details gibt es Unterschiede von Show zu Show.

MusikBlog: Wie du eben erwähnt hast, geht es dir bei diesen Shows ja auch um eine neue Rolle des Publikums. Reagieren die Zuschauer denn anders auf Bianca Casady & The C.i.A. als zum Beispiel auf CocoRosie?

Bianca Casady: Ja, wir vermeiden Pausen zwischen den Stücken, damit das Publikum keine Chance hat, zu klatschen oder anders zu reagieren. Das gibt den Shows eine mysteriöse Atmosphäre, weil währenddessen nicht klar ist, wie den Zuschauern die Darbietung gefällt und sich alle Emotionen bis zum Ende aufstauen.

MusikBlog: Bei deinen Auftritten spielt Bino Sauitzvy unter anderem einen heiligen Clown und auf dem Cover des letzten Albums von CocoRosie habt ihr ebenfalls Clownskostüme getragen. Was macht die Figur des Clowns so reizvoll für dich?

Bianca Casady: Der Clown ist eine sehr zweideutige Figur. Vor allem emotional bewegt er sich ständig zwischen zwei Polen, ohne dass man ihn genau verorten könnte. Außerdem ist der Clown meist ein Reisender, der immer unterwegs ist und nirgendwo wirklich zuhause. Damit kann ich mich identifizieren. Und mich fasziniert seine Rolle als Entertainer, weil er einerseits seine Emotionen hinter einer Maske verbirgt, aber andererseits bestimmte Emotionen durch seine Handlungen verkörpert und verarbeitet.

MusikBlog: „Oscar Hocks“ ist das erste Album seit zwölf Jahren, das du ohne deine Schwester geschrieben und aufgenommen hast. War das eine große Umstellung?

Bianca Casady: Eigentlich nicht. Ich habe mir viel Zeit gelassen, unterschiedliche Stile ausprobiert und es hat eine Weile gedauert, bis ich erkannt habe, wie das Album klingen muss. Ich schreibe schon immer auch alleine Musik und manchmal landet die dann auch auf CocoRosie-Alben. Bei neuen Songs weiß ich in der Regel sofort, ob sie in die Welt von CocoRosie passen oder nicht. Auf meinem eigenen Album verfolge ich einen Anti-Pop-Ansatz, der von verstimmten Klängen lebt. Das war eine sehr befreiende Erfahrung, mich nicht unbedingt an die Regeln der Stimmung und der Harmonielehre halten zu müssen.

MusikBlog: Dabei spielte auch ein 100 Jahre altes, „unstimmbares“ Klavier eine Rolle.

Bianca Casady: Genau, das ist ein so altes Instrument, dass es mittlerweile seine eigene Stimmung hat, an der man nichts mehr ändern kann. Es machte Spaß, dieses Instrument mit anderen zusammen zu bringen, weil sich durch die unterschiedlichen Stimmungen Spannungen ergeben haben.

MusikBlog: Außerdem scheinen viele Songs auf „Oscar Hocks“ vom Jazz beeinflusst. Hast du dich während der Aufnahmen stärker mit dieser Musik beschäftigt?

Bianca Casady: Ganz und gar nicht. Obwohl ich mich nie wirklich mit dieser Art von Musik auseinander gesetzt habe, hat sich mein Stil langsam dorthin entwickelt. Bei The C.i.A. spielen mehrere tolle Jazz-Musiker, die sicherlich auch Anteil an dieser Entwicklung haben.

MusikBlog: Im Vergleich zu CocoRosie klingen die neuen Stücke düsterer. Ist deine Schwester für die optimistischeren Seiten eurer Musik verantwortlich?

Bianca Casady: Definitiv. In der Musik von CocoRosie herrscht ein ständiger Kampf zwischen Licht und Schatten. Als ich angefangen habe, alleine Musik zu machen, fehlte mir oft die Schönheit in den Songs. Vielleicht war das auch ein Grund, warum ich diese Musik so lange für mich behalten habe. Die Schönheit und die Feel-Good-Melodien in der Musik von CocoRosie stammen definitiv von meiner Schwester.

MusikBlog: In „Dead Season“ singst du: „Oscar Hocks, he has no clocks, he suffers from the inner talks.” Gehört Oscar Hocks zu den Charakteren, von denen du eben erzählt hast?

Bianca Casady: Es handelt sich um eine erfundene Figur, um einen gesichtslosen Mann. Er ist ein Herumtreiber, aber vollkommen harmlos. Die Idee zu dieser Figur kam mir, als ich ein Portrait von einer Person mit einem Handtuch über dem Kopf sah. Ich arbeite gerne mit Masken aus Stoff, weil man so das natürliche Gesicht verbergen und andere, weniger eindeutige Gesichtsausdrücke kreieren kann.

MusikBlog: Du hast ja schon erwähnt, dass dich das Theater und seine Möglichkeiten faszinieren, und auch bei deinem Album „Oscar Hocks“ scheinen die dazugehörigen Shows ja sehr wichtig. Wird man dich in Zukunft also eher auf Theater- als auf Konzertbühnen sehen?

Bianca Casady: Ich werde Musik wohl immer in unterschiedlichen Formen machen und aufführen, aber zurzeit bin ich wirklich hauptsächlich an Theater und Musik innerhalb des Theaters interessiert. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass CocoRosie sich in Zukunft in diese Richtung entwickeln, weil meine Schwester eine sehr ausdrucksstarke Schauspielerin und Tänzerin ist.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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