History repeating? Die Bedingungen, unter denen dieses neue kleine Meisterwerk des Shoegaze zustande kam, DIIVs zweites Album „Is The Is Are“, kennen wir nur zu gut. DIIV ist die Band des 84er Jahrgangs Zachary Cole Smith, ein waschechter New Yorker. DIIV, die sich mal Dive schrieben, aber heutige Bands mögen es ja, die Dinge orthographisch etwas zu verkomplizieren, machen Shoegaze, Indie Rock, Krautrock, Psychedelic Rock. Ihr starkes Debüt „Oshin“ sorgte 2012 für einen veritablen Indie-Hype, ohne dass ihre zeitlos schöne Gitarren-Musik ein Fressen für den Mainstream geworden wäre.
Und DIIV haben ernstere Probleme mit Drogen als mit abgesagten Gigs. Der blasse, dünne, halblange Haare tragende und Anti-Looks zur Schau stellende Cole Smith (er benutzt seinen ersten Vornamen nicht) ist auf Nachfrage mehrerer englischsprachiger Musikmedien seit dem Sommer 2015 angeblich clean von Heroin – ausdrücklich nur von Heroin. Höre ich die Lyrics auf dem sagenhaften „Is The Is Are“ kommen mir Zweifel.
Und Cole Smith hat eine in Indie-Kreisen längst bekannte, schöne und blonde Musiker-Freundin: Sky Ferreira. Die Parallelen zu Kurt und Courtney ziehen sich auch ohne rocklexikalisches Wissen. Aufgrund seiner Drogensucht musste DIIVs Drummer inzwischen ausgetauscht werden, kommt aber bestimmt gerne in seinen cleanen Phasen wieder, wie einst zigmal Jimmy Chamberlin von den Smashing Pumpkins. Fürs Protokoll: Der andere DIIV-Gitarrist habe seine lebensbedrohliche Alkoholsucht jetzt endlich im Griff – heißt es.
Was ist das für eine seltsame Gesetzmäßigkeit, welch krudes göttliche Spiel? Es gibt bestimmte Menschen, die machen großartige Musik, und je mehr die Welt von dieser Großartigkeit erfährt und ihr erliegt, desto mehr bekommen diese Menschen Probleme mit Drogen. Es ist ja nicht so, dass die Protagonisten so etwas nicht antizipieren könnten und ein Kurt Cobain etwa nicht ahnte, was „Nevermind“ für ein Hammeralbum werden würde, als es entstand.
DIIVs neues Album jetzt zu hören und Cole Smiths Worte aus dem Juni 2015 zu lesen, lassen schlucken: „I know I have to stay alive at least until the album’s done. This is one shot at immortality, if I ever have one. I know it’s by far the most important thing I’ll ever do. That’s very empowering, no matter what fucked-up shit is going on. Every day is a struggle, but I have to be the best I can, stay sober and finish this record.“
Wie sich sterbensschöne, manisch entrückte Gitarrenmelodien und Bassläufe auf diesem Rock-Album umschlängeln, vereinen und wieder lösen, ist schlicht atemberaubend. Selbst der Reverb der Gitarren ist hier eine echte Kunst. Einige Bands haben eigentlich, was es braucht, um den ganz großen Wurf zu landen, wenn nur die Bedingungen stimmen.
Früher handelte man mal die Raveonettes hoch in dieser Shoegaze/Indie-Rock-Liga, heute Warpaint. Nun ist es DIIV geworden, die sich mit „Is The Is Are“ für immer in dieses Genre eingeschrieben haben. Schwer vorstellbar, dass in diesem Jahr im Bereich Shoegaze noch ein besseres Album kommt.
Vor dem Hintergrund Smiths Heroinabhängigkeit verblasst selbst die schlagzeilensträchtige Entlarvung, dass DIIVs Bassist allem Anschein nach ein veritabler Honk ist, weil er in der äußerst zweifelhaften Prokrastinations-Webseite 4chan mit selbstverliebten, homophoben, rassistischen und misogynen Kommentaren auffiel und shitstorm-trächtig an den Medienpranger gestellt wurde. Nach ein bisschen Reue durfte er bleiben.
Also trotz (oder gerade wegen?) der widrigen Umstände ist DIIVs zweites Album „Is The Is Are“, Smiths Lieblingszeile aus einem Nonsensgedicht, das ihm ein Poeten-Freund schrieb, atemberaubend schön und schmerzhaft großartig.
Man darf annehmen, Smith kennt den berühmten Santayana-Auspruch, wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Eine Rockstar-Beziehung, jede Menge Heroin und ein unglaubliches Album: break the cycle, Zachary Cole Smith!