Die Dame aus der Folk-Dynastie schaut auf ihrem neuesten Streich über den Tellerrand des Genres. Das ist nach dem letzten Album allerdings auch dringend nötig, auf dem sie mit ihrer Halbschwester Lucy Wainwright Roche Schlaflieder aus ihrer Kindheit neu interpretierte. Ziel erreicht. Oder nicht? Das Resultat wirkte größtenteils einschläfernd, mitunter leider auch stilistisch.
Lullabies sucht man nun aber vergebens. “Goodnight City” ist ein Wachmacher geworden und dürfte das bisher dynamischste Album in der Karriere der ambitionierten Singer-Songwriterin darstellen. Die familiären Folkbräuche werden von Martha Wainwright allerdings nicht hinterfragt. Dafür bewegen sich schlichte Akustikstücke wie “Around The Bend” in zu sicherem, nahezu berechenbaren Terrain.
Ein zu krasser Umbruch würde allerdings auch nicht authentisch wirken. Und abgesehen davon, dass Martha die klassische Folknummer natürlich souverän beherrscht, sind die progressiveren Momente clever auf die Gesamtauswahl verteilt.
Im Jazzchanson “Look Into My Eyes” singt sie französisch, macht hier nahezu einen lasziven Eindruck während der belebte Pianopop “Franci nahezu an die Popballaden von Fleetwood Mac erinnert.
Nicht zuletzt dürfte diese Mannigfaltigkeit auch an den beteiligten Produzenten liegen: Thomas Bartlett und Brad Albetta wurden für die Aufnahmen verpflichtet, die beide bei Folkgrößen wie Sufjan Stevens und Angus & Julia Stone für den Feinschliff sorgten.
Generell ist das Spektrum auch in stimmlicher Hinsicht breiter geworden. Martha hat den Schlafliedmodus hinter sich gelassen, wagt mehr Bruch, wirkt in für Wainwright-Verhältnisse verschlungenen Stücken wie “Alexandria” nahezu rau, krächzend, mehr wie eine entfernte Verwandte von Janis Joplin oder gar Patti Smith als die Schwester von Lucy Roche und Rufus Wainwright.
Trotzdem bleibt alles in der Familie. Nicht nur, weil sich inhaltlich viel um die Verwandten dreht: “Franci” erzählt vom Marthas Großvater mütterlicherseits, den sie nicht mehr kennenlernen konnte. “Traveller” ist da zwar subtiler, berichtet phasenweise aber auch von der Liebe zur Schwester.
“Goodnight City” schließt – fast in Wainwright-Tradition – mit einer dezenten Klavierballade, die von ihrer unkonventionellen Machart aber auch an prominente Umdenkerinnen des Genres wie Julia Holter anknüpft.
An deren enigmatischen Sog reicht Martha Wainwright aber nicht heran. Will sie vermutlich auch gar nicht – ihr Songwriting gefällt sich in seiner unverschlüsselten Machart und Unkünstlichkeit, schöpft unmittelbar aus der eigenen Biographie.
Auf Albumlänge ist das noch gerade so passabel, nicht nur wegen der hohen Qualität der Arrangements. Dass Martha sich aber anscheinend gerade an das Romanformat herantraut, macht dann doch etwas stutzig. Dass sie ihre Familie sehr gern mag, haben wir jetzt begriffen. Wir gönnen es ihr absolut. Mittlerweile wird es halt nur ein wenig langweilig.