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Ich wäre in London versauert – SOHN im Interview

Nach sechs Jahren in Wien, hat SOHN seine Zelte nun in Los Angeles aufgeschlagen. Die österreichische Vergangenheit hat der britische Soul-Barde aber keineswegs ad acta gelegt. So trägt sein neues Studioalbum den Titel “Rennen” und präsentiert mit dem Song “Conrad” auch einen Track, der sich explizit mit den derzeit schwierigen politischen Windungen in der Alpenrepublik befasst. Wir trafen uns mit SOHN einige Wochen vor der Veröffentlichung seines neuen Albums zum Interview und sprachen über endlose Reisen, dunkle Wolken über Österreich und Vaterfreuden.

MusikBlog: Sohn, wann bist du das letzte Mal so richtig gerannt?

SOHN: (lacht) Oh, keine Ahnung. Das müsste schon eine ganze Weile her sein. Im Kopf hingegen befinde ich mich fast jeden Tag im “Rennen”-Modus.

MusikBlog: Warum?

SOHN: Das steckt irgendwie in mir drin. Ich habe während der vergangenen drei Jahre insgesamt sechs oder sieben Mal die Welt umrundet. Ich war permanent unterwegs, in Europa, Amerika, Asien, überall. Und an jedem neuen Ort habe ich neue Erfahrungen gemacht. Ich habe alles mitgemacht, stand immer in der ersten Reihe und wollte alles mitnehmen. Da fühlt man sich automatisch wie ein „Sprinter“. Vieles von dem, was ich in dieser Zeit erlebt habe, findet sich auch auf meinem neuen Album wieder.

MusikBlog: Als gebürtiger Brite, der mittlerweile in Los Angeles lebt, hättest du das Album aber auch “Run” oder “The Race” nennen können. Du hast dich allerdings für “Rennen” entschieden. Ein bewusster Gruß in Richtung Wien?

SOHN: Auf jeden Fall. Ich habe Österreich, und insbesondere Wien, unheimlich viel zu verdanken. Als ich damals in London kein Fuß auf die Erde bekam, war Österreich meine künstlerische Rettung. Dort kam mein Sound super an. Vor allem in Wien klopften mir unzählige Menschen anerkennend auf die Schultern. Ich wäre in London aller Wahrscheinlichkeit nach versauert. Glücklicherweise bin ich aber ein neugieriger Mensch, der sich gerne neuen Herausforderungen stellt. Ich packte also meine Sachen, zog nach Wien und lebte dort sechs Jahre.

MusikBlog: Neben dem Albumtitel, hast du auch noch einen Song namens “Conrad” am Start, der ebenfalls in Richtung Österreich schielt. Erzähl doch mal.

SOHN: Dieser Song liegt mir sehr am Herzen, denn er beschäftigt sich mit der politischen Situation in Österreich. Ich habe diese Richtung bereits während meiner Zeit in Wien feststellen können und höre auch jetzt noch von Freunden, dass das Land weiter im Rechtspopulismus versinkt. Mir ist es ein Rätsel, wie es so weit kommen konnte. Österreich ist ein wunderbares Land mit wunderbaren Menschen. Wieder einmal ist es die Angst vor Neuem, die Menschen dazu bringt, den falschen Weg einzuschlagen. Das stimmt mich sehr traurig.

MusikBlog: Bist du auch deswegen nach Los Angeles gezogen?

SOHN: Nein. Der Umzug hatte andere Gründe. Als ich von der letzten Tour zurück nach Wien kam, fühlte ich mich seelisch irgendwie fremd. Ich war damals monatelang nicht mehr in meiner Wohnung. Dann sind zwischendurch Beziehungen zerbrochen. Das war mir alles zu viel. Als ich dann in Los Angeles einige Jobs an Land ziehen konnte, überlegte ich, ob es nicht an der Zeit wäre, die Zelte in Wien abzureißen und irgendwo anders neu anzufangen. Und so blieb ich in Los Angeles, verliebte mich dort neu und wurde Vater. Es war also die richtige Entscheidung für mich.

MusikBlog: Dein Sohn ist erst ein paar Wochen alt. Mit welchem Gefühl bist du gerade unterwegs?

SOHN: Sehnsucht! (lacht)

MusikBlog: Verständlich.

SOHN: Ich meine, der Kleine ist noch so jung. Und ich will natürlich dabei sein. Ich will ihn um mich haben. Ich denke, das sind ganz normale Gefühle. Aber ich muss natürlich auch arbeiten, meine Karriere vorantreiben und dafür Sorge tragen, dass es ihm an nichts fehlt. Dieser Brückenschlag zwischen Familie und Beruf ist derzeit die größte Herausforderung für mich. Aber ich bin guter Dinge, dass sich das alles schnell einspielt.

MusikBlog: Inwieweit beeinflusst dich dein neues Vaterleben als Musiker?

SOHN: Das kann ich noch gar nicht so richtig beantworten. Ich denke, dass mein nächstes Album zeigen wird, ob mich das Vatersein auch musikalisch verändert hat. Darüber habe ich mir selbst schon viele Gedanken gemacht. Ich bin jedenfalls sehr gespannt.

MusikBlog: Dein neues Album klingt im Vergleich zu “Tremors” definitiv “aufgeräumter”.

SOHN: Ja, das empfinde ich auch so. Die letzten Jahre haben aus mir einen selbstbewussteren Songwriter gemacht. Ich wusste diesmal genau, was ich will.

MusikBlog: Die Geschichte hinter dem Opener “Hard Liquor” bringt die neue Entwicklung wohl am besten auf den Punkt, oder?

SOHN: Ja, definitiv. Eigentlich hatte ich diesen Song für einen anderen Künstler vorgesehen. Aber je mehr ich mich mit der Struktur und dem Innenleben des Tracks beschäftigte, desto mehr Lust entwickelte ich, den Song selbst einzusingen. Das hätte ich vor drei oder vier Jahren sicherlich nicht gemacht.

MusikBlog: Es gibt phasenweise aber auch experimentelle Einwürfe zu entdecken. Die Percussions klingen beispielsweise nicht immer so, wie man sich herkömmliche Percussions vorstellt.

SOHN: Das liegt wohl daran, dass ich dafür auch keine herkömmlichen Instrumente verwendet habe. Ich habe mir alles zunutze gemacht, das daheim bei mir so rumlag. Vor allem in der Küche findet man spannende Dinge, die tolle Sounds fabrizieren. Man muss sich nur umgucken und offen für Neues sein. Das ist der Schlüssel.

MusikBlog: Auf dem nächsten Album gibt’s dann Schnuller-Sounds und Babyrasseln?

SOHN: (lacht) Möglich. Warum nicht? Wenn es passt…

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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