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Wir wollen ja keine Vorbilder sein – Schnipo Schranke im Interview

Mit ihrem Debütalbum „Satt“ hat das Hamburger Indiepop-Duo Schnipo Schranke vor knapp zwei Jahren ganz schön das Feuilleton aufwirbelt und tourt seither sehr erfolgreich durch die Clubs der deutschen Subkultur. Jetzt legen Daniela Reis und Fritzi Ernst den Nachfolger „rare“ vor – und wieder klingt die Sprache darin ähnlich derbe, wie sie es von einem ihrer früheren Lieblingsrapper Sido gelernt haben. Ein Gespräch über Fäkalhumor in der Alltagssprache, die Verarbeitungsstrategie Popmusik, und ob die zwei Multiinstrumentalistinnen mit klassischer Ausbildung demnächst mal die Zackengitarre rausholen.

MusikBlog: Daniela, Fritzi – auch auf eurem zweiten Album „rare“ wimmelt es von Ausdrücken, die in der Öffentlichkeit aus Taktgründen gemieden werden. Bin ich als Mann eher verklemmt oder emanzipiert, wenn mich Pimmel, Furzen, Sperma peinlich berührt?

Fritzi: Was es über dich aussagt, will ich lieber nicht beurteilen. Was es über uns aussagt, ist ein Hang zum Fäkalhumor. Den finden wir beide einfach lustig und scheuen uns auch privat nie vor solchen Worten.

Daniela: Und weil diese Sprache privat schon immer Teil unseres Humors war, findet er halt auch Eingang in unsere Musik. Andererseits steht die Sprache des Humors überhaupt nicht so im Vordergrund unserer Texte, wie es dir scheinbar vorkommt.

Fritzi: Natürlich kann da jeder eine Metaebene herauslesen, aber als Teil unseres Alltags ist sie vor allem eine Ausdrucksform unserer selbst.

MusikBlog: Ist alles also viel weniger ironisch gemeint, als es den Anschein hat?

Daniela: Genau – keine Ironie! Wir wollen einfach nichts durch die Blume sagen, wie es in vielen Produktionen gerade dann der Fall ist, wenn es um Liebeslieder geht. Wir bleiben da lieber näher an unserer Realität. Wir wollen nichts beschönigen.

Fritzi: Manchmal entsteht ein Song, weil kurz zuvor einer dieser Sätze gefallen ist. Das wird uns oft allerdings dann bewusst, wenn wir es singen, und finden es auch erst dann lustig.

MusikBlog: Aber ist das Vulgäre auf der Männerbastion Bühne nicht auch eine Art Aneignung männlicher Verhaltensweisen, die kulturhistorisch ja schon immer eher derber waren?

Fritzi: Nicht als bewusster Schritt, unterschwellig womöglich schon. Als es mit uns losging, haben wir gerade viel deutschen Hip-Hop gehört.

Daniela: Gangster-Rap, Sido und so.

Fritzi: Da ist diese Sprache in der Tat gang und gäbe. Insofern fanden wir es komisch, so etwas selber auch zu machen.

MusikBlog: Komisch im Sinne von humorvoll oder lächerlich, wenn sich Männer durch alberne Arschfick-Prosa profilieren?

Fritzi: Letzteres.

Daniela: Ich finde es ganz und gar nicht lustig, wenn Männer mit so was Frauen degradieren, natürlich nicht. Weil ich Sido das nicht unterstellen will, finde ich es zunächst mal lustig, dass da einer über so was Widerliches offen singt!

Fritzi: Der nimmt doch nur Posen ein, um damit Tabus zu brechen. Natürlich kann man darüber philosophieren, ob Gewalt im Kleinen wie Sprache beginnt; aber wir als Band sind nicht dafür zuständig, das Gute mit musikalischen Botschaften vom Bösen zu trennen.

Daniela: Wir wollen ja keine Vorbilder sein, sondern unsere Gefühle im Rahmen der Musik schildern. Dabei offen über Depressionen oder Schmerz zu berichten, ist uns viel wichtiger als die Frage, ob die Texte ausreichend feministisch klingen.

MusikBlog: Aber ist es womöglich leichter, über etwas Intimes wie Depressionen zu singen, wenn man es sprachlich vulgär, humorvoll, unernst tut, als schützender Filter quasi?

Daniela: Man macht sich schon ein bisschen weniger angreifbar, wenn man über etwas lacht, statt darüber zu weinen, stimmt schon.

Fritzi: Dennoch sind die Themen auf der zweiten Platte negativer als auf der ersten. Man kann zwar davon abstrahieren, weil die Situation im Moment des Komponierens in der Regel abgeschlossen ist. Wenn die Leute vor der Bühne zu einem Text tanzen, der beschreibt, wie schlecht es dir mal ging, ist das eine wirklich schöne Art der nachträglichen Verarbeitung.

Daniela: Insofern haben unsere Songs durchaus therapeutische Wirkung. Für uns selbst, aber auch für andere. Das hören wir immer wieder. Von daher hast du schon recht mit dem Filter – Humor und Spaß sind definitiv zwei unserer Verarbeitungsstrategien persönlicher Probleme. Deshalb legen wir gern mal eine absurd banale Melodie unter ein schwerwiegendes Thema.

MusikBlog: Beides – Text und Musik – wirken insgesamt meist ziemlich dadaistisch.

Fritzi: Ich höre sogar häufiger mal dilettantisch. Da fühle ich mich fast schon angegriffen.

MusikBlog: Die Frage des Dilettantismus entsteht ja auch aus dem Wissen, dass ihr beide klassisch ausgebildete Musikerinnen seid.

Fritzi: Aber ja nicht an den Instrumenten, die wir auf der Bühne spielen.

Daniela: Wir haben Schlagzeug gelernt, um auf der Bühne Beat zu haben, da lernen wir noch. Aber Klavier konnten wir beide vorher; dennoch ist es weder bewusst noch unbewusst dadaistisch oder dilettantisch, sondern unser Sound. Und der ist schon anspruchsvoll.

Fritzi: Na ja…

Daniela: Für mich schon. Aber was ist denn Dada – Trio?

Fritzi: Zum Beispiel. Wir beide lieben einen Sound, in dem die einzelnen Elemente komplett durchsichtig sind. Gitarrenbandrock, wo alles ineinander verschwimmt, trifft eben nicht unseren Geschmack, wir sind da minimalistischer. Weil wir uns genau darüber jedoch krass Gedanken machen, ist das eben nicht dadaistisch oder so, sondern ziemlich ausgebufft.

MusikBlog: Dada beschreibt ja auch weniger Inkompetenz als den bewussten Bruch tradierter Harmonien mit möglichst absurden Mitteln.

Daniela: Witzigerweise hatte ich überhaupt keine Ahnung, was Dada ist, bevor an uns herangetragen wurde, dass wir den machen. Wir machen zwar generell, was unserem Geschmack entspricht und nicht einem bestimmten Label. Aber wie es aussieht, trifft ihn Dada unterbewusst ganz gut.

Fritzi: Wir haben da jedoch keinen Masterplan.

MusikBlog: Aber schon ein Konzept, das beide Platten recht ähnlich klingen lässt?

Fritzi: Na ja, wir spielen dieselben Instrumente als auf der ersten, so fängt’s schon mal an.

Daniela: Die erste Platte ist keine zwei Jahre her, da entwickelt man ja keinen komplett neuen Sound. Solche Prozesse verlaufen bei Bands generell eher schleichend. Wir wollten auf „Rare“ aber schon ausfeilen, was auf „Satt“ begonnen hat. Synthesizer zum Beispiel waren damals völlig neu für uns, jetzt sind wir da versierter und kennen ihre Möglichkeiten besser.

Fritzi: Das ist doch ein roter Faden.

MusikBlog: Gibt es den Ehrgeiz, Neuland zu betreten – Synthesizer und Drums haben wir gelernt, jetzt kommen Zackengitarren und Gabba?

Fritzi: Da ist auf jeden Fall noch einiges zu entdecken.

Daniela: Und auch wenn die neue Platte soundtechnisch nah an der ersten ist, wollen wir uns natürlich nicht wiederholen.

Fritzi: Da wissen wir sehr genau, wo es auf der dritten hingehen soll.

MusikBlog: Aber das rückt ihr nicht raus….

Beide: Nein!

MusikBlog: An wenig richtet sich Nr. 3 – Leute die sich fröhlich vom Mainstream abwenden?

Fritzi: Keine Zielgruppen, bitte! Unser Publikum ist dafür viel zu bunt gemischt.

Daniela: Gerade bei so etwas Sensiblem wie Musik finde ich es falsch, sie für bestimmte Leute zu machen. Dann wird es schnell gefällig und berechnend.

MusikBlog: Apropos – habt ihr je damit gerechnet, dass ihr mit dem, was ihr tut, Erfolg habt?

Fritzi: Wir waren irgendwie schon überzeugt, von dem, was wir tun. Aber wenn das, woran du glaubst, plötzlich wirklich funktioniert, ist es schon krass.

Daniela: Ich betrachte das nicht nur als Erleichterung, sondern kleines Wunder. Davon zehren wir, haben aber auch etwas zu verlieren. Das ist die Kehrseite.

Fritzi: Wir haben bislang aber gut ausgeblendet, Erwartungshorizonte befriedigen zu müssen.

Daniela: Wenn ich an das, was wir machen, mit Verstand, nicht dem Bauch ranginge, würde vieles davon nicht funktionieren. Ich hab da immer falsch gelegen bislang. Bei „Pisse“ zum Beispiel war ich mir ganz sicher, dass das der schlechteste Song ist, den niemand mag. Der wäre beinahe nach dem ersten Demo rausgeflogen. Jetzt ist das so eine Art Hit von uns.

MusikBlog: Lebt ihr von eurer Musik?

Daniela: Ja, das ist super. Aber damit das so bleibt, müssen wir uns auch steigern.

Fritzi: Man sollte von Album zu Album einen draufsetzen und besser werden?

MusikBlog: Was genau ist das – besser werden?

Fritzi: Das Gegenteil von Stagnation oder gar Rückschritten.

Daniela: Neue Themen abdecken unter anderem. Auf der ersten Platte hatten wir fast nur Liebeslieder, von denen gibt es jetzt kaum noch welche.

MusikBlog: Weil ihr so ein zerrüttetes Liebesleben habt?

Daniela: Im Gegenteil.

Fritzi: Auf der Love-Ebene ist alles in bester Ordnung, auch wenn es nicht immer so klingt. Es gibt einfach noch zu viel Chaos im Kopf, das es zu verarbeiten gilt.

Daniela: Aber immer mit der Bewältigungsstrategie Humor. Damit bin ich bis jetzt gut durchs Leben gekommen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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