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Ich bin keine Daily Soap – Sookee im Interview

Sookee, 1983 in Ostberlin geboren, ist derzeit die prominenteste Frau im deutschsprachigen Hip-Hop. Ihr Markenzeichen: extreme Meinungsstärke gegen rechts aus strikt feministischer Perspektive. Und auf ihrem neuen Studioalbum „Mortem & Makeup“ klingt die Conscious-Rapperin sogar noch ein bisschen politischer als auf den fünf zuvor seit 2006. Ein Gespräch über Hip-Hop in Zeiten des Rechtsrucks, gerappte Diskurstherapie und übertriebene Erwartungshaltungen.

MusikBlog: Wie soll ich dich nennen – Sookee oder beim richtigen Namen?

Sookee: Das ist mein richtiger Name, der steht sogar im Pass. Wer mich anders nennt, sind entweder Behörden oder meine Großmutter. Ich mache da keine Trennlinie.

MusikBlog: Also, Sookee, haben wir gerade gute oder schlechte Zeiten für politischen Hip-Hop?

Sookee: Die Ohren sind da, das ist ein gutes Zeichen. Andererseits ist es ein ungutes, wenn man sich mit Scheiße Öffentlichkeit verschafft. Eigentlich würde ich viel lieber über was anderes als irgendwelche Rechtsruckphänomene sprechen, denn die Aufmerksamkeit für mich fußt auf etwas, das ich ablehne. So gesehen sind die Zeiten politisch schlecht, aber musikalisch gut. Es gibt viel zu sagen. Ein Chirurg hat es auch lieber ruhig im OP, statt ständig offene Brüche vor sich liegen zu haben, dennoch ist es nun mal sein Handwerk, sie zu kurieren.

MusikBlog: Eine Feministin sein zu müssen, ist wichtig, aber besser wäre es, keine sein zu müssen?

Sookee: So sieht’s aus.

MusikBlog: Wenn die Ohren, also das Publikum, da sind – empfindest du es dann als Verpflichtung, ihnen als Stimme zu dienen?

Sookee: Weil ich das schon eine Weile tue, wird von vielen schon erwartet, eine zu sein. Aber wenn die Frage an mich lautet, wie wir den Rechtsruck jetzt wieder wegkriegen, sind die Erwartungen da ein bisschen hoch.

MusikBlog: Seit wann besteht diese Erwartungshaltung denn? Oder anders gefragt: Wann wurde aus der Musikerin Sookee die politische Musikerin?

Sookee: Ab der zweiten Platte, also 2010, Schreibphase inklusive ungefähr 2008. Das Fundament wurde aber schon in einem politisch bewegten Elternhaus gelegt, das sich im Sozialismus nicht weiter von zuhause fort bewegen durfte als bis zum Balaton. Die Beengtheit des Systems kriegt man als Kind auch ohne Staatstheorie mit. In meiner Jugend hab ich mir das daraus gewachsene Bewusstsein zwar ein wenig weggekifft; aber als sich mir der Rap als kulturelles Medium erschlossen hat, kam irgendwann die Erkenntnis, wie gut er zur Politik passt.

MusikBlog: Trotz allem Sexismus in der Szene?

Sookee: Gerade deshalb. Um die Jahrtausendwende herrschte im Hip-Hop das Motto, wir ficken alles und jeden. Von Berlin aus machte sich Battle-Rap in Deutschland breit, Royal Bunker wurde wichtig und obwohl ich damals durchaus schon conscious war, habe ich erstmal mitgemacht beim eher oberflächlichen Representer-Rap mit autobiografischem Partyzeugs. Selbst als ich dann „Quing“ rausgebracht hab, war das Politische noch immer nicht voll angesagt und galt so als Müsli-Rap. Aber in den letzten fünf, sechs Jahren hat sich alles so weit ausdifferenziert, dass wieder Platz für Mucke ist, die Gesellschaft thematisiert.

MusikBlog: War es damals so, dass du Mühe hattest, Politik in den Spaß einzuarbeiten, während es jetzt umgekehrt schwieriger ist, Spaß in die Politik einzuarbeiten?

Sookee: Ich weiß gar nicht, ob man das so gegeneinander stellen sollte, und würde es persönlich auch gar nicht so ausanalysieren. Ich mag die Opposition zwischen Politik und Kultur nicht, das ist doch wie linke und rechte Hand. Wieso fragst du – fehlt dem neuen Album der Spaß?

MusikBlog: Musikalisch nicht. Inhaltlich strömt aus wirklich jeder Zeile Gesellschaftskritik.

Sookee: Aber hattest du denn Spaß beim Hören?

MusikBlog: Schon, aber auch das permanente Gefühl, politisch informiert zu werden.

Sookee: Das ist halt mein Ding! Ich bin keine Daily Soap, man muss sich schon ein bisschen Zeit für mich nehmen und drauf einsteigen. Sonst funktioniert es nicht. Blankes Entertainment ohne Rübe bin ich nicht. Trotzdem sollen die Leute bei meinen Songs die Ärsche schütteln. Umso mehr erhoffe ich mir natürlich, dass auch solche, deren Rezeptoren blockiert waren, beim Zuhören wachwerden. Meine Musik ist da eine große Einladung zur Aufmerksamkeit.

MusikBlog: Wird die auch angenommen oder behelligst du dein Publikum manchmal mehr, als sie sich behelligen lassen wollen?

Sookee: (lacht) Entschuldigung, dürfte ich Sie mal behelligen? Nee, was die Leute aus dem, was sie von mir hören, am Ende machen, bleibt jedem, jeder einzelnen überlassen. Da mache ich keine Vorschriften. Aber ich kriege schon auch immer mal wieder Rückmeldung von Leuten, die meinen, vor drei Jahren hättest du mich mit dem Scheiß jagen können, jetzt peile ich, worum es dir geht. Wenn meine eigene Veränderung bei der Veränderung anderer hilft, macht mich das sehr glücklich.

MusikBlog: Glaubst du, dass Musik wirklich Einstellungen verändern kann?

Sookee: Definitiv. Ich selber bin ja auch über bestimmte Songs an Themen herangekommen oder mit Menschen ins Gespräch, mit denen ich vor einiger Zeit nicht mal dieselbe Luft geatmet hätte.

MusikBlog: Hip-Hop als Diskurstherapie?

Sookee: Klar. Ich finde es total richtig, sich einmal schwer zu radikalisieren, das dann zu reflektieren und bei anderen zu schauen, wie weit sie auf diesem Weg der Erkenntnis sind und warum. Mit einem Bier in der Hand lässt es sich da leichter reden als mit geballter Faust. Das gilt für beide Seiten: Warum benutzt du Begriffe, die mich diskriminieren? Warum kann man nicht mal chillen? Ich muss nicht mit jeder besorgten Bürgerin deren Wut durchdiskutieren, habe aber mittlerweile ein Händchen dafür, zu sehen, wer nur pöbeln will und wem es wirklich um was geht. Vielleicht hat das ein bisschen mit Altersweisheit zu tun.

MusikBlog: Aber wenn du im ersten Track der neuen Platte feststellst, deine Freunde und du stünden vor der Entscheidung: Einsame Insel oder Untergrund, dann klingt das nicht altersweise, sondern nach Flucht oder Angriff…

Sookee: Davon abgesehen, dass es mehr Gedankenspiele als reale Optionen sind, geht es darin vor allem um Sensibilisierung für all die Absurditäten, die durch unsere Timelines flattern. Ich zaubere da keine Endzeitphantasien aus dem Hut, sondern beschreibe einen Zustand, in dem die Kacke gehörig am Dampfen ist. Wer hätte vor acht Jahren gedacht, dass wir wieder über die Verteidigung der Demokratie als solche reden müssen. Natürlich hat es schon immer Nazis gegeben, aber wie sich Identitäre, AfD, Reichsbürger, Compact und all die Populisten weltweit miteinander in Verbindung setzen, hat schon eine neue rechte Qualität. Wobei man sich ständig fragen muss, ob das Monster nicht größer wird, wenn man es beschreibt.

MusikBlog: Wie lautet deine Strategie?

Sookee: Meine Strategie lautet keine Strategie. Eher situatives Ermessen, was es gerade am dringendsten braucht. Humor wäre ein gutes Mittel, weil ausgelacht zu werden für viele noch schmerzhafter ist als ignoriert zu werden. Trotzdem gibt es immer wieder Situationen, in denen schlicht eingegriffen werden muss, etwa um deutlich zu machen, dass Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist. Punkt. Der Schlüssel zu allem ist Kontext und Popkultur eine gute Möglichkeit, ihn herzustellen.

MusikBlog: Hat der Feminismus als Hauptantrieb deiner politischen Ausdrucksformen in diesem gesamtpolitischen Clash eigentlich noch den Stellenwert, der dir lieb ist?

Sookee: Jahaha! Meine Perspektive ist und bleibt feministisch, weil ich auf alle Themen als Feministin und Frau gehe. Es gibt daher nicht mehr den einen Song, der sich explizit um sexualisierte Gewalt dreht, aber ich habe keine neutrale Brille, sondern nur die feministische.

MusikBlog: Und hast du durch die betrachtet das Gefühl, der Hip-Hop emanzipiert sich langsam vom Männlichkeitswahn früherer Jahre?

Sookee: Er ist zumindest auf einem guten Weg. Nachdem so viele Menschen über so viele Jahre an dieser Scheiße rumdiskutiert haben, muss ich niemandem mehr grundlegend erklären, wo denn überhaupt das Problem sei. Diesen Punkt können wir also abhaken, weshalb ich mich auch in Interviews endlich mal mehr meiner Musik und der Politik insgesamt widmen darf. Die meisten haben einfach verstanden, dass „Mutterficker“ und „Hurensohn“ keine akkuraten Begriffe sind, um etwas auszudrücken, das nichts mit mütterlicher Sexualität oder weiblicher Prostitution zu hat. Ich fühle mich da nicht mehr so als Einzelkämpferin.

MusikBlog: Weil es endlich mehr Frauen im Hip-Hop gibt?

Sookee: Spürbar. Zwei Hände reichen schon lange nicht mehr, sie abzuzählen. Und das sorgt für neue Selbstverständlichkeiten. Ich habe keinen Grund zu chillen, bin aber guter Dinge.

MusikBlog: Auch, dass du irgendwann überhaupt nicht mehr über Politik zu singen brauchst?

Sookee: Das könnte erstens heißen, ich lasse es einfach mit der Politik.

MusikBlog: Unwahrscheinlich…

Sookee: Oder zweitens, dass sich alles zum Guten wendet. Ich erwarte nicht, dass in meiner Lebenszeit irgendwann alles endcool wird. Aber weil es mittlerweile mehr Schultern gibt, auf denen die Last dieser Welt lagert, kann ich bestimmt irgendwann mehr Love-Songs machen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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