Von der Gesellschaft zurück ins eigene Innenleben: Kae Tempest machte sich einst einen Namen mit gesellschaftskritischen Texten, mit weisen Einordnungen und analytischen Zusammenhängen, mit Alben wie Manifesten (man höre „Let Them Eat Chaos„). „Self Titled“ ist nicht nur deswegen ganz anders als vorige Releases – auch im Sound geht das introspektive Werk andere Wege.

In Zusammenarbeit mit dem Grammy-prämierten Produzenten Fraser T. Smith (Adele, Stormzy) konnte sich Tempest für das große Vorhaben, der eigenen Reise und Identität ein Album zu widmen, in Sound-Ideen suhlen.

Entstanden ist nun ein Album, das zwischen sanften Trance-Trips aus den 90ern und verhaltenem Pop oszilliert. Darüber sprechsingt Tempest mal deutlich angriffslustiger, mal zart über sich selbst und das eigene Umfeld.

Im Fokus: Kae Tempests Transidentität als non-binäre Person. In einer Welt, die sich mehr und mehr gegen queere Lebensrealitäten aufstachelt, ist der Bedarf nach solchen Songs für die Community umso höher. Wenn jemand für solch komplexen Themen die passenden Worte findet, dann natürlich Tempest.

Angefangen beim Opener „I Stand On The Line“, der vor einem Retro-Sample über die Reaktionen auf Trans-Personen von Ablehnung über die Verwendung von Deadnames bis zur Abstempelung als „confusing“ auflistet, widmet sich die Platte zahlreichen Elementen von Tempests Welt.

Schön: Das ist nicht immer zurückhaltend und skeptisch, sondern auch selbstbestimmt und forsch. „Statue In The Square“ geht in Angriffsstellung und greift die Norm als Konstrukt auf – mit einer klaren Message an die Hater: „When I’m dead, they’ll put a Statue in the Square“.

Unterkriegen gibt’s also nicht. Tempest ist so sehr bei sich wie noch nie, spricht über die großen Fragen des Kinderkriegens in apokalyptischen Zeiten („Bless The Bold Future“), über das Altern und Sterben („Prayers To Whisper“), darüber, dass Diagnosen nicht eine ganze Persönlichkeit bestimmen („Diagnoses“).

„Self Titled“ schimmert dabei in Selbstakzeptanz und ist stilistisch gewohnt smart aufgebaut – mit Gastmusiker*innen wie Connie Constance, den Young Fathers oder Produzent Smith selbst, mit Zeilen, die wiederholt auftauchen wie „I’m just trying to be someone the child I used to be could believe in“, mit dem Selbstverständnis als Summe vieler Teile, vieler Erinnerungen, vieler Menschen.

„Breathe“ ist dafür vor schnellen Trance-Beats das introspektive Highlight, „Forever“ wiederum der Moment, indem Tempest so gesellschaftskritisch on point ist wie gewohnt.

Ein Album wie ein Seelenpflaster für eine Community, die es mehr denn je braucht.

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