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Für uns war es auf jeden Fall eine Herausforderung – INVSN im Interview

Dennis Lyzxén gönnt sich keine Pause. Kaum ist die Tour zum Comebackalbum von Refused beendet, veröffentlicht er mit seiner zweiten Band INVSN bereits das nächste Album. Bei „The Beautiful Stories“ handelt es sich – je nach Zählweise – um das zweite oder vierte Album der schwedischen Post-Punks. Denn heute sieht Lyzxén INVSN zwar als vollwertige Band an, ihren Anfang nahm die Band jedoch als Nebenprojekt mit wechselnden Namen und Besetzungen. Aus dem Soloprojekt The Lost Patrol wird die Lost Patrol Band, die sich aus rechtlichen Streitereien um den alten Namen in Invasionen umtauft und zwei Alben auf Schwedisch veröffentlicht. Das nächste Album im Jahr 2013 erscheint dann sowohl in einer schwedischen als auch in einer englischsprachigen Version, allerdings heißt die Band da schon INVSN.

Der Bandname ist bei „The Beautiful Stories“ zwar gleichgeblieben, dennoch fallen auch bei diesem Album sofort die Veränderungen auf. Dennis Lyzxén überlässt den Platz am Mikrofon nun auch mal seiner Kollegin Sara Almgren, mit der er bereits bei The (International) Noise Conspiracy spielte, außerdem treten die Gitarren in den Hintergrund und machen Platz für einen sehr perkussiven, manchmal fast mechanisch hämmernden Post-Punk- und Industrial-Sound. Wir sprachen mit Dennis Lyzxén über die Herausforderung, in zwei Bands gleichzeitig zu spielen, über die Vorteile kurzer Alben und über die Gleichstellung der Geschlechter in der Musikindustrie.

MusikBlog: Einen großen Anteil der Songs für „The Beautiful Stories“ hast du geschrieben, während du mit Refused auf Tour warst. Kommt man da nicht durcheinander, wenn man für eine Band schreibt, während man mit der anderen Konzerte spielt?

Dennis Lyzxén: Manchmal schon. Aber ich habe nun mal zwei vollwertige Bands, die meine Zeit beanspruchen. Der Touralltag einer Band unterscheidet sich sehr von der kreativen Phase einer Band, in der neue Song geschrieben werden. Wenn man auf Tour geht, ist der kreative Prozess abgeschlossen. Man spielt die Songs noch, muss sich über sie aber nicht mehr den Kopf zerbrechen. Insofern hat man auf Tour Zeit, sich mit den Songs für eine andere Band zu beschäftigen.

Außerdem habe ich selten wirklich während der Tour geschrieben, sondern mich mit meinen Kollegen von INVSN in den kurzen Tourpausen zwischen verschiedenen Shows getroffen. Unser Drummer André hat zudem dieses Mal den größten Teil der Musik für INVSN geschrieben, ich habe mich vor allem um die Texte gekümmert.

MusikBlog: Also versuchst du, den Tourzyklus der einen Band mit dem Schreibzyklus der anderen zu kombinieren, um mit beiden Bands Alben zu veröffentlichen und Konzerte zu spielen?

Dennis Lyzxén: So sieht mein Plan aus. Die schwedische Version des letzten Albums von INVSN wurde wenige Wochen nach der letzten Show der Refused-Tour veröffentlicht. Es kann also manchmal stressig werden, aber ansonsten funktioniert das sehr gut. Zumal die anderen Mitglieder von INVSN fast alle noch richtige Jobs haben, weshalb sie ebenfalls nicht immer Zeit für die Band haben. Um ehrlich zu sein, muss ich sogar so oft darauf warten, dass die anderen nach der Arbeit endlich proben können, dass ich vermutlich noch eine dritte Band gründen könnte. (lacht)

MusikBlog: Du hast erwähnt, dass euer Drummer die Musik für viele Songs auf „The Beautiful Stories“ geschrieben hat. Tatsächlich stehen im Vergleich zum Vorgänger die Rhythmen viel stärker im Fokus.

Dennis Lyzxén: Zu Beginn von INVSN habe ich alle Songs selbst geschrieben und da ich Gitarre spiele, stand diese im Zentrum der Kompositionen. Für das letzte Album hat dann André bereits begonnen, Songs beizusteuern, aber wir hatten zwischenzeitlich drei Gitarren in der Band, wodurch der Sound immer noch stark von Gitarren bestimmt war.

Bevor wir uns für „The Beautiful Stories“ an die Arbeit gemacht haben, haben wir uns zusammengesetzt und darüber diskutiert, was wir anders machen möchten. Schnell war klar, dass wir unbedingt die Gitarren loswerden wollen. Aber wie macht man das? Für André war das kein großes Problem, schließlich ist er Schlagzeuger und denkt in Rhythmen und Patterns, nicht in Riffs oder Melodien.

MusikBlog: Und für den Rest von euch?

Dennis Lyzxén: Für uns war es auf jeden Fall eine Herausforderung. Wenn man etwas Neues ausprobiert, muss man manchmal auf diesen Moment hinarbeiten, an dem es klickt und alles plötzlich funktioniert. Bei diesem Album war es der Song „Immer Zu“, obwohl wir davor schon an vielen Songs gearbeitet hatten und insgesamt vermutlich 30 Songs geschrieben haben. Aber erst dieser Song war der Schlüssel für das Album, erst danach ergab alles Sinn.

MusikBlog: Du hast vorab angekündigt, dass „The Beautiful Stories“ das anspruchsvollste und experimentellste Album ist, an dem du mitgewirkt hast. Lag das an diesem Anspruch, sich weniger auf Gitarren zu fokussieren?

Dennis Lyzxén: Da ich bisher zig Alben veröffentlicht habe, die sich alle um Gitarrensounds drehen, war das natürlich ein gewagter und aufregender Schritt. Wir konnten uns dieses Experiment erlauben, weil uns bislang noch nicht so viele Menschen kennen. Unser letztes Album hat einige gute Kritiken bekommen, vor allem auch hier in Deutschland, aber insgesamt werden wir noch recht wenig beachtet. Die Zahl unserer Fans weltweit ist bislang noch recht gering. Das ist manchmal frustrierend und ändert sich hoffentlich bald, aber es gibt dir auch die Freiheit, Dinge auszuprobieren, weil es kaum Erwartungen an uns gibt.

MusikBlog: Viele Songs auf „The Beautiful Stories“ fühlen sich wie eine einzige Steigerung an, weil sie mit einem minimalistischen Arrangement beginnen und dann Pattern auf Pattern schichten. Machen solche Songs wie „Love’s Like A Drug“ auf der Bühne besonders viel Spaß, weil sie am Ende so viel Energie freisetzen?

Dennis Lyzxén: Ja, aber nicht nur auf der Bühne, auch im Studio war es toll, solche Stücke zu spielen. Ich komme nun mal aus der Punk- und Hardcore-Ecke, wo man einen Song einzählt und ab der ersten Sekunde geben alle Instrumente Vollgas. Die Songs von INVSN sind im Herzen sehr minimalistisch, es gibt weder verrückte Gitarrensoli noch komplexe Schlagzeugfills. Dafür ergeben sich spannende Momente dadurch, dass eben nach und nach neue Schichten, neue Patterns hinzukommen. „Love’s Like A Drug“ ist wirklich das beste Beispiel dafür, weil der Song sehr simpel beginnt und im hektischen Chaos endet.

MusikBlog: Das Album beginnt und endet mit sehr aggressiven Songs, kommt im Mittelteil mit Songs wie dem pulsierenden „The Distance“ etwas zur Ruhe. Macht ihr euch über die Dramaturgie eines Albums viele Gedanken?

Dennis Lyzxén: Ja, manchmal denke ich sogar, dass wir uns darüber viel zu viele Gedanken machen. Schließlich leben wir in der Zeit von Streamingportalen wie Spotify, in denen die Menschen sowieso nur die populärsten Songs einer Band im Shuffle-Modus hören. Aber als Künstler ist mir das Album als Kunstform immer noch sehr wichtig, weil ich es toll finde, zu entscheiden, welchen Song der Hörer zuerst hört und welchen ganz am Ende.

Deshalb diskutieren wir bei INVSN manchmal ewig über die Setlist für unsere Shows oder die Tracklist unserer Alben. „Love’s Like A Drug“ ist mein Lieblingssong auf dem Album, aber weil es der letzte Track ist, werden ihn einige unserer Fans nicht hören. Vielen Hörern fehlt mittlerweile die Geduld, um ein Album von Anfang bis Ende zu hören.

MusikBlog: Habt ihr deshalb nur sieben der 30 geschriebenen Songs auf das Album gepackt?

Dennis Lyzxén: Ja, das liegt aber auch an meiner eigenen Vorliebe für kurze Alben. Ich bin mit Vinyl aufgewachsen, höre Musik immer noch am liebsten auf Schallplatten. Da sind Alben immer zeitlich begrenzt. Als sich die CD etablierte, nahmen viele Künstler plötzlich Alben auf, die 70 oder 80 Minuten lang waren.

Ich habe das gehasst! Ich bin stattdessen ein Fan von Seven-Inches, auch wenn man ständig aufstehen muss, um die Platte zu wechseln. Aber so bleibt man konzentriert und hört aktiv zu. Auch in meiner eigenen Diskografie gibt es Alben, über die ich heute sagen würde, dass sie drei oder vier Songs zu lang geraten sind und dass sie deshalb einen Teil ihrer Energie einbüßen.

MusikBlog: Ihr habt bislang Alben auf Schwedisch und auf Englisch veröffentlicht, mit „Immer Zu“ haben sich nun auch ein paar deutsche Worte aufs Album verirrt. Wie kam es dazu?

Dennis Lyzxén: Zunächst war es einfach ein Witz, weil der Song so einen harten, industriellen Beat hat, der mich an deutsche Industrial-Bands erinnerte. Also habe ich zu den Bandkollegen gesagt, dass ich den Chorus auf Deutsch singen werde. Das klang dann aber so gut, dass es nicht mehr bloß ein Witz war, sondern eine wirklich gute Idee. Das hat auch wieder mit der Freiheit zu tun, die ich eben erwähnt habe. Es gibt keine Erwartungen, also warum nicht mal auf Deutsch singen?

MusikBlog: Sprichst du denn fließend Deutsch?

Dennis Lyzxén: Leider nicht. Ich kann aber veganes Essen bestellen, dem Taxifahrer das Ziel der Fahrt nennen und in ein Hotel einchecken. Für mehr reicht es nicht. Allerdings verstehe ich den größten Teil einer Unterhaltung auf Deutsch, ich kann nur nicht auf Deutsch antworten. Ich werde dann auch zu schnell schüchtern.

MusikBlog: Der Song handelt von der Macht des Patriarchats und der immer noch fehlenden Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft. Wie schätzt du als Mitglied einer Band mit weiblichen und männlichen Kollegen die Musikindustrie in dieser Hinsicht ein?

Dennis Lyzxén: In der Punk- und Hardcore-Szene wurde ständig von Gleichheit und ähnlichen Werten gesungen, aber irgendwann habe ich mich umgesehen und festgestellt, dass diese Gleichberechtigung nicht existiert. Weder dort noch in der Gesellschaft, weder damals noch heute. Es ist faszinierend, wie stabil solche gesellschaftlichen Strukturen sind, und wie schwer es ist, diese zu verändern.

Männern wird schon in jungen Jahren beigebracht, dass sie sich den Platz nehmen können, den sie brauchen, und dass sie gehört werden, wenn sie laut genug sind. Frauen kriegen dieses Selbstbewusstsein nicht von der Gesellschaft vermittelt. Auf der letzten Tour waren wir mit drei Männern und drei Frauen unterwegs, da habe ich gemerkt, dass Menschen plötzlich anders auf uns reagieren. Wir wurden anders angesehen, anders behandelt.

Deshalb haben wir oft über Gender und Gleichberechtigung diskutiert und da wir mit Sara und Christina zwei fantastische Musikerinnen in der Band haben, die auch toll singen können, erschien es mir richtig, ihnen auf dem neuen Album mehr Platz einzuräumen, ihnen den Platz im Rampenlicht zu überlassen.

Ich bin davon überzeugt, dass Frauen, wenn sie Sara auf der Bühne beobachten, wie sie Bass spielt und sich bewegt, davon viel stärker inspiriert werden, als wenn ich als Mann über Feminismus singe. Ich kann darüber nur aus der männlichen Perspektive sprechen. Wenn man die Musikindustrie insgesamt betrachtet, kann man doch einige kleinere Fortschritte erkennen, aber bis zur Gleichstellung von Mann und Frau ist es auch hier noch ein sehr weiter Weg.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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