Zum wiederholten Mal fand in der sächsischen Kulturhauptstadt Chemnitz… Nee, so kann dieser Artikel nicht beginnen.
Also noch einmal: Beim Begriff Sachsen fällt vielen Menschen nicht zuallererst der Begriff Kultur ein, in Verbindung mit Karl-Marx-Stadt schon gar nicht. Diesem Umstand zum Trotz organisierten die verdienten Söhne der Stadt, Kraftklub, die 5. Auflage ihres Kosmonaut-Festivals mit aller bekannten Liebe zum Detail.
Diesmal am Freitag keine Gluthitze, der wolkige Himmel und der ruppige Wind ließen eher Herbststimmung aufkommen. Was natürlich die Party auf dem Gelände um den Stausee Oberrabenstein überhaupt nicht trübte, nicht umsonst heißt dort die bevorzugte Beschäftigung Vorglühen.
Nach dem Warm-Up hätten Von wegen Lisbeth mit ihrem quirligen Deutsch-Pop für mehr Gedränge vor der großen Bühne gesorgt, wenn nicht just zu diesem Zeitpunkt gerade eine Stoßzeit am Einlass gewesen wäre. Aus gegebenem Anlass kann es an dieser Stelle auch keine Kompromisse bezüglich Einlasskontrolle geben, die Menschentraube nahm es gelassen und sang halt vor der Tür die Hits „Sushi“ und „Bitch“ mit.
Auf der kleineren Atomino-Stage balgten sich die Headliner von morgen genre-übergreifend um größere Aufgaben. Ob Pabst, Blond oder zum Ausklang OK Kid – der Nachwuchs steht in den Startlöchern und wird nicht nur bei Open-Air Veranstaltungen der Zukunft das Programm füllen.
Prime Time auf der Main-Stage, die ersten bösen Bässe grummelten aus den Boxen und MoTrip lieferte ein klassisches Hip-Hop Set. Sänger Mohamed erzählte „Songs entstehen manchmal mit den Eiern“ (Olli Kahn wird’s freuen); beim Erfolgssong „So wie Du bist“ sind die auf jeden Fall weichgekocht.
Die Kraftklubber hatten für ihre Veranstaltung auch einen ganz dicken Fisch aus den internationalen Gewässern gezogen: die Editors gaben sich die Ehre. Frontmann Tom Smith lieferte die gewohnt exzessiv-theatralisch Show, bei der zu befürchten war, dass er sich irgendwann einmal die Armen verknoten würde.
Ausgerechnet als sich die Raucher vor der Krankenhaustür trafen, gab es einen amtlichen Guss-Regen und „Smokers Outside The Hospital Door“ – das scheint zusammen zu gehören, siehe MELT! 2008. Jedenfalls sorgte die Band mit “Marching Orders” für einen emotionalen Höhepunkt, wenn auch der Abstand zu Coldplays Stadion-Rock nicht mehr allzu weit entfernt scheint.
Trotz der schönen Show der Briten kanalisierte sich alles auf den letzten Act. Denn „wenn das Deichkind am Mic ist bon Voyage“, fragt es sich nur immer, wie die Zeit bis zur Zerstörung der Bühne ausgefüllt wird. Zusammengefasst: mit skurrilen Ideen und Verkleidungen, vom Riesenhirn bis zur Oma mit Handtasche, trieben DK ihren anarchischen Schabernack mit viel Material von der letzten Platte aber natürlich auch mit allen übrigen Hits.
Wer danach noch nicht genug hatte, für den gab es reichlich After Show Programm, die Dezibel-Zahlen erschienen nun höher als vorher. Das wussten vor allem die Besucher zu schätzen, die sich zum Übernachten im Auto auf den gegenüberliegenden Parkplatz zurückzogen.
Auch der nächste Samstagmorgen begann kühl, aber Weltraumflieger sind Extreme gewöhnt. Wer wollte, wärmte sich durch Teilnahme am Flunkyball-Turnier. Je länger der Tag, desto einsichtiger war die Sonne und spätestens am frühen Nachmittag war Baden im Stausee eine Option.
Auf der kleinen Bühne unterhielten derweil Neufundland mit deutschen Texten und gefälligem Shoegaze. An dieser Stelle sorgten später SXTN mit einem aggressiven Auftritt und anschließendem Selfie-Shooting (älteren Semestern fällt hier Tic Tac Toe ein) für unruhige Träume bei den männlichen Adoleszenten, bevor die grandios lauten Fjørt zum Headbanger-Ball aufspielten.
An dieser Stelle hatte später auch die Security einen ernsten Einsatz. Als die Kreuzberg Veteranen Terrorgruppe ihre Straßenkampf-Folklore lieferte, wurde mit Bengalos gezündelt. Die Rädelsführer wurden dingfest gemacht, verwarnt und wieder in den Wettbewerb um den Blutpogo-Pokal entlassen.
Im Nachmittagsprogramm auf der Hauptbühne klang Max Richard Leßmann zumindest von Weiten ein bisschen wie Sportfreunde Stiller, schnürten die Parcels ihr Funk-Paket und unterhielt MINE samt Fatoni mit gerappter Prosa.
Bilderbuch, vor drei Jahren noch zu früher Stunde gesetzt, lieferten ihren dekadent-charmanten Austro-Pop voller hipper Melodien, wobei der Gestus von Sänger Maurice Ernst einmal mehr den Geist des großen Zampano Falco wiedererweckte.
Ebenfalls Kosmonaut-Wiederholungstäter: AnnenMayKantereit. Zu ihnen ist inzwischen alles gesagt, natürlich begeisterten sie die textsichere Menge mit ihren monothematischen Inhalten, coverten dabei mit den von der gegenüberliegenden kleinen Bühne herübergeeilten Die Höchste Eisenbahn Nina Hagens „Du hast Den Farbfilm Vergessen“.
Nun war nur noch der geheime Headliner übrig. Vor der Bühne ging inzwischen kein Blatt mehr zu Boden, im Publikum wurden leidenschaftlich diskutiert. Die im Wettbüro hoch gehandelten Toten Hosen oder doch Marteria? Sogar von Rammstein war die Rede, einer wünschte sich die Beastie Boys– der Kumpel hatte wohl einiges verpasst.
Bevor es soweit war, richtete sich traditionell der Dank von Felix Brummer und seinen Kollegen an die vielen fleißigen Helfer und die zahlreich erschienenen Gäste, verbunden mit dem Versprechen, mindestens bis zum 10-jährigen Jubiläum weiterzumachen.
Der Dank für zwei Tage Love, Peace, Happyness und vor allen Dingen jeder Menge guter Musik von allen genannten und nicht genannten Künstlern geht 1:1 an Kraftklub zurück!
3,2,1, der letzte Vorhang fiel, das Nebelhorn brummt und die Beginner waren da. Wie es war? Ahnma!