Zum ersten Mal in der sieben-jährigen Geschichte des Mannheimer Maifeld Derbys ist einer der Festivaltage ausverkauft. Am Samstag geht nichts mehr. Auch die wenigen noch verfügbaren Tagestickets sind bis zum frühen Nachmittag restlos vergriffen.

‚Wurde auch Zeit‘, mögen sich die Veranstalter gedacht haben. Und ,schwer verdient‘ die vielen Gäste. Das ausnahmslos gute Wetter mag dazu beigetragen haben, dass es mehr Leute als in den Vorjahren zum Open-Air zog.

Viel entscheidender wird aber das großartige Programm gewesen sein, mit dem sich das Festival einmal mehr als eines der Geschmacksichersten der ganzen Republik präsentiert.

Die Zugpferde sind an diesem Samstag eindeutig die Berliner Elektroniker von Moderat, die dem Palastzelt nicht nur satte Beats und feinen Gesang spendieren, sondern auch mit der spektakulärsten Videokonzeptkunst aufwarten.

Weil das Line-Up vor großartigen Acts nur so strotzt, hat man allerdings oft die Qual der Wahl. Parallel zu Moderat spielen die US-amerikanischen Indieprogger von Minus The Bear ein berauschendes Kontrastprogramm auf der ungleich kleineren Brückenawardbühne.

Bei anderen Festivals würden sich in solchen Fällen die Interessen wohl eher nicht schneiden. Hier treffen sich aber weder typische Mosher, noch Raver noch Baggy Pants, sondern ein heterogenes Publikum, dass der guten Musik wegen zusammen kommt. Genre egal.

Und deshalb schmerzt nicht wenigen auch so manch unwahrscheinlicher Interessenskonflikt. Das ist dann zwar Jammern auf hohem Niveau und doch ein Problem, denn die vorzüglichen Verköstigungen an den Essenständen verlangen auch noch ihre entsprechende Würdigung.

Also schnell die Falafel zwischen die Kiemen klemmen, um mit Acid Arab in die Morgenstunden tanzen zu können. Es stecken immerhin schon etliche hervorragende Shows in den Knochen.

So haben Klez.e bereits am Nachmittag auf beeindruckende Weise ihr neues Album „Desintegration“ vorgestellt. Die Platte heißt nicht nur fast so, wie der The Cure Klassiker, ihr Sänger Tobias Siebert sieht inzwischen auch beinahe genauso aus wie Robert Smith vor 20 Jahren.

Die Texte sind düster und anklagend, die Musik melancholisch und postpunkig – und das genaue Gegenteil dessen, was zwei Stunden später Temples mit ihrem Gute-Laune-Psychpop auf die Bühne bringen. Trotz der musikalischen Vielfalt fließen die Acts immer stimmig ineinander.

Kaum haben Metronomy drinnen den letzten Ton ausklingen lassen, spittet Ausnahmerapperin Kate Tempest draußen vor dem Zelt ihren Unmut ins Mic. Es fällt wahrlich schwer, wirkliche Highlights zu nennen, weil das Niveau des Dargeboten fast ausnahmslos sehr hoch ausfällt.

Einige der älteren Besucher, nicht wenige in Begleitung des großen und kleinen Nachwuchses, werden sicher ihre 90er Helden nennen: Spoon, Thurston Moore Group oder den wunderbaren Festivalabschluss der Shoegaze-Pioniere Slowdive.

Die etwas jüngeren haben in Scharen im „Bugalow“ und mit „Sneakers For Free“ die besten Österreicher seit Falco gefeiert. Bilderbuch sind inzwischen eine einzige Partymacht und ihr Gitarrist ein furchteinflößender Wahnsinniger.

Ganz anders, aber mindestens genauso gut, läuft vorher der gefühlvolle Ambient-Pop der Newcomer von Cigarettes After Sex rein, der die Generationen genauso eint wie der Klapperschlangen-Psychprog von King Gizzard & The Lizard Wizard am sehr heißen Sonntag.

Und dann sind da noch die Jüngsten. Mit Mickeymaus-Gehörschutz größer als die Köpfe, die ihn tragen: Die werden vielleicht das Steckenpferd-Dressur-Reiten als ihr Highlight nennen, weil sich dort ältere Wagemutige gerne freiwillig und auf charmante Weise zum Pferd machen.

Lediglich das, was die wenigen Coachella-Wanna-Be’s unter den Besuchern so gefeiert haben (außer, dass ihnen Fotografen mit Reflektoren hinterher rennen) bleibt fraglich und der einzige Makel eines ansonsten großartigen Festivalwochenendes, das mit dem Auftritt von Amanda Palmer und Edward Ka-Spel vielleicht den ganz großen Glanzpunkt setzte.

Wenn die Dresden-Dolls-Frontfrau neben ihrem wahnsinnig guten Geiger mit beiden Fäusten auf ihr Keyboard eindrischt, wirkt das des Öfteren, als klopfe eine Femme Fatale an die Pforte der kammermusikalischen Hochkultur.

Es dürfen gerade hier auch mal ein paar Gläser Rotwein statt Festivalbier sein und im nächsten Jahr gerne alle drei Tage ausverkauft, damit für die paar It-Girls & It-Boys nichts mehr zu holen ist.

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