Von Rosa über Schwarz zu Weiß. Ein Ausflug in den „Mainstream“ (?) mit Kate Nash. Eigentlich romantisch netter Singer-Songwriter-Pop mit Girlie Attitude.
Das Uebel und Gefährlich präsentiert sich herzerfrischend ungewohnt. Kurz nach Einlass ist die Bar komplett leer, aber vor der Bühne drängelt sich schon das überwiegend junge und weibliche Publikum.
Die Bühne erstrahlt in kitschigem rosa Licht, vollgestellt mit künstlichen Kirchblüten-Zweigen. Optisches Highlight die großen Aufblas-Wolken an der Decke. Das Keyboard hinter einem Vorhang aus Kunstrosen versteckt. Aus den Boxen schallt Hitparaden Musik.
Den Auftakt machen Skating Polly. Wie ich später nachlese, zwei Stiefschwestern, 17 und 22 Jahre jung. Live haben sie einen Schlagzeuger zur Unterstützung dabei. Das Gitarrengewitter zum Auftakt steht im starken Kontrast zur Bühnen Optik.
Erste irritierte Blicke in den vorderen Reihen. Riot Grrrl Sound, Punk, Rock, treibend und voller jugendlichem Enthusiasmus. Laute krachige Passagen wechseln mit ruhigen, basslastigen Unterbrechungen, die fast noch mehr nach vorne treiben.
Das Zentrum der Band, die liebenswürdig charismatische Peyton Bighorse (ja, die heißt wirklich so). Barfuß im engen schwarzen Glitterkleid am Bass. Ihre energetische Stimme rangiert zwischen Kreischen und punkigem Sprechgesang.
Wenn ihre jüngere Stiefschwester Mayo übernimmt, wird es dramatischer, aber nicht minder intensiv. Konsternierte Blicke im Publikum reflektieren die Frage – welcher Tourplaner zum Teufel kam auf die Schnapsidee, diese beiden lärmigen Energiebündel als Opener auszuwählen?
Es gibt gesitteten Applaus, aber das Gros ist irritiert. Getanzt wird gar nicht. Zum letzten Stück wechselt Mayo ans Schlagzeug und zeigt, dass sie auch hier ordentlich was zu bieten hat.
Hätte ich mir auch noch etwas länger angehört. Jetzt wird umgebaut und alle bereiten sich mental auf die erlösende Ruhe nach dem Sturm vor. Neben uns fällt die erste junge Dame der schweißtreibenden Hitze zum Opfer und muss weggetragen werden. Die Security beginnt Wasser zu verteilen.
Alle Stagehands uniformiert in schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift „Made Of Bricks“. Zwei Bässe, drei Gitarren, eine davon twelve string, eine ganze Batterie Effektpedale für den Bass. Das macht wenig Sinn, nach dem was ich vorher probegehört hatte.
Die Band kommt auf die Bühne, drei selbstbewusste Mädels in weißen Jeans mit diesmal weißen „Made Of Bricks“ T-Shirts. Ein kurzes Gewitter, dann kommt Kate. Imposante Erscheinung, zu den Haaren passende rote Glitzer-Hotpants, Glitter-Kirschohrringe, Netzstrumpfhose, dazu Plateau-Sneaker.
Großer Alarm im Publikum. Sie setzt sich ans Keyboard, die ersten 30 Sekunden von „Foundation“. Der Applaus wird ohrenbetäubend. Wir lernen: Die Tour feiert das 10te Jubiläum ihres Debutalbums „Made Of Bricks“.
Weiter geht es rockig ohne Ende und lauter als die Mädels davor. Der rockige Sound von „Dickhead“ passt sehr viel besser zum Text und Kates Gestik, als die Aufnahme vom Album. Stellen erinnern an Rage Against The Machine.
Kates Zunge fast so weit hinaus gestreckt wie KISS anno dazumal macht sie eine Fingerübung mit dem Publikum. Am Ende der Übung strecken sich hunderte Mittelfinger gen Decke.
Jetzt verstehe ich die durchaus konsequente Wahl der Vorband. Das dämmert einigen anderen im Publikums jetzt auch, romantische Erleichterung wird dieser Abend vermutlich nicht mehr bringen.
Die Intensität steigert sich sukzessive, Schlagzeug und Bass legen einen unaufhaltbaren Takt vor, die Gitarre kracht darüber. Das Publikum kann jeden Song mitsingen, wie man dazu tanzen soll, erschließt sich der Masse nicht. Filmen mit dem Handy statt Moshpit.
Kate beherrscht ihr Bühnen-Handwerk. Jede Bewegung würde ein großes Festival anheizen. Der sarkastisch unschuldige Augenaufschlag im Widerspruch zur komplett verlaufenen Schminke. „Show tits“-Rufe aus dem Publikum kann sie locker ablaufen lassen.
Immerhin wird es doch kurz romantisch mit ’ner Ballade. Dazu halten die Stagehands im Photo-Graben die leuchtenden Handys zur Animation hoch, Feuerzeuge sind out.
Einige musikalische Hommagen, mal ironisch „Smoke On The Water“, dann weniger ironisch White Stripes. Das Gitarrensolo bei der Vorstellung der Band erinnert an Metallica.
Es geht aufs Ende zu, jetzt kommt „Foundation“ komplett. Mit viel mehr Wumms als die Aufnahme, am Ende liegt Kate unter der Gitarristin am Boden. Die Band verlässt die Bühne.
Die folgende Ballade, solo am Keyboard, klingt wie eine ärgerliche Dillon, mit heiserer Stimme. Zum Abgang gibt es Sonnenblumen und Gladiolen fürs Publikum.
Die Zugabe beginnt mit einem unveröffentlichtem Stück. Der elektronische Beat gibt alles. Die abschließende vermeintliche Ballade endet in einem reinen Noise-Gewitter. Die Gitarre wird mit einem Drumstick bearbeitet, Kate kniet zerfließend vor Schweiß auf dem Keyboard, bearbeitet es mit Händen und Füßen. Fulminanter Abschluss.
So macht romantischer Singer-Songwriter Pop viel Spaß. Nach dem Konzert läuft „Time Of My Life“ aus Dirty Dancing. Der ganze Saal singt mit, noch lauter als beim Konzert. Und jetzt tanzen auch viele.