Politisches Tanz-Musical mit Female Super-Heroes und Musik-Ikone der Vergangenheit.
„Fever Ray supports equal rights, all restrooms are trans friendly at this venue tonight“. Das trifft eigentlich immer und auf jeden guten Hamburger Club zu. Da sind die Toilettenschilder bei Hochansturm eh meist ignorierte Deko. Heute setzt der Zettel an der Klo-Türe den bewussten Ton. Konsequent zum neuen Album „Plunge“. Das widmet Karin Dreijer sehr explizit der sexuellen Freiheit, Fetischen und der Queerness.
Tami T macht den Auftakt. Elektro-Solo-Künstlerin aus Schweden mit Wahlheimat Berlin. Das ekstatisch, orgiastische Stöhnen zum Start ist fast das akustisch Aufregendste. Klassische Loops, Techno Beats drunter, explizite Texte mit harmonischer Stimme. Unterlegt von 80er Konsolen Piepsen, die entfremdete Stimme erinnert teilweise an Poliça.
Mit Bondage-Geschick bindet sie sich ein silbernes Rohr wie einen Strap-On Dildo vor den Schritt. Mit dem Drumstick wird es bearbeitet, das zentrale Instrument der nächsten Tracks. Der Vorgang mechanisch einstudiert, emotionsfrei umgesetzt. Der Sound wird dichter, die Stimme verzerrter, die Stimmung steigt. Hätte sie so begonnen wie aufgehört, hätte sie den Saal erobert.
Auftritt Fever Ray. Fünf weibliche Super-Hero-Charaktere betreten die Bühne, Catwoman ist genauso dabei wie ein orangener Hulk mit 20cm dicken Schaumstoff-Muskeln.
Zwei Damen übernehmen die Percussion, Catwoman die Keyboards. Hulk und eine Tänzerin mit dickem Pelzmantel die Bühnenfront. Zuletzt Karin Dreijer selbst in Omas Schnür-Unterhose und weißen Overknee-Stiefeln. Geschminkt als grinsender Totenkopf-Zombie mit rasiertem Schädel. Die Charaktere aus den Videos.
„An Itch“ eröffnet bombastisch. Intensive Lightshow, viele Effekte, Leuchtröhren, Strahler. Dance Sound mit fettem Beat ohne Tiefe. Und getanzt wird, aber wie. Zu dritt einstudiert bis auf die letzte Bewegung. Herausstechend nur die unverkennbare Stimme.
Kurze Spannung beim dritten Track „When I Grow Up“ von der ersten Platte. Aber auch der wird konsequent als reine Dance-Nummer umgesetzt. Rappelnde Bongos unter hellen Sounds. Die Tiefe ist weg, alles ehemals Bedrohliche nicht zu ahnen. Es bleibt konsequent im Flow. Kräftiger als auf der Platte, aber genauso an der Oberfläche.
Ebenso die Bühnen-Show. Einstudierte Choreographie, zumeist so eindimensional wie ein Video von Destiny‘s Child. Der dicke Pelz kommt weg, „Maryam“ darunter übernimmt den Charakter der Table-Dancerin.
„This Country“ bringt Karins Stimme das erste Mal gut zur Geltung. Die Show spielt stark mit dem Kontrast der beiden Tänzerinnen. Eine Aussage erschließt sich aber nicht wirklich. Das versuchen sie bei „Falling“ nachzuholen. Maryam kniet Karin zu Füßen, massiert ihr demonstrativ den Schritt. Ungefähr so queer wie Peaches, bevor diese überhaupt anfängt, explizit zu werden.
Trotz alledem treibt der Beat, das Publikum tanzt dezent mit. Aber auch viele enttäuschte Gesichter. Wer den Schwenk von der „alten“ zur „neuen“ Fever Ray nicht verinnerlicht hat, wird kaum abgeholt.
Kurzes Highlight für Nostalgiker: „Concrete Walls“. Die Bühne bleibt dunkel, die Show setzt aus, der Sound wird böse. Dunkle verzerrte Stimme über düsterem Dröhnen, knackig trockene Beats. Gegen Ende des Tracks gibt Fever Ray wieder Gas, zieht den Sound wieder hoch in den Übergang zu „To The Moon And Back“.
Der Track eröffnet final die Dance-Party des Abends, die ihr Highlight im „IDK About You“ findet. Fast rotterdam-ähnliche Sounds aus den 90ern als Basis. An Maryam ist eine gute Burlesque-Tänzerin verloren gegangen.
„Keep The Streets Empty“, wieder dunkle Bühne, düster, böse und schleppend. Die Drums treiben glaubwürdig, der Text fräst sich von hinten in den Kopf. Versöhnung Phase zwei. Neben mir: „alleine dafür hat sich der Abend doch gelohnt“.
Die Zugabe hält diese Stimmung kurz mit „If I Had A Heart“. Sehr dunkel und langsam gezogen, saugend. Warum die drei Damen dazu rein dekorativ akustische Gitarren in der Hand halten, wird für immer ein Rätsel bleiben.
In sich ein konsequent durchgezogener Abend. Tanz-Darbietung mit Gesang. Passend in der Musical-Stadt Hamburg. Vielleicht sollte die Show etwas aussagen? Hat das jemand mitbekommen an dem Abend?