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Man kann diese beiden Ebenen nie voneinander trennen – Sunflower Bean im Interview

Vor zwei Jahren veröffentlichten Sunflower Bean ihr Debütalbum „Human Ceremony“, auf dem das New Yorker Trio zu mal verträumtem, mal handfestem Indie-Rock vor allem über das eigene Leben sang. Gibt ja auch viel zu erzählen, wenn man mit Anfang zwanzig Teil einer aufstrebenden New Yorker Band ist. Auch auf dem zweiten Album „Twentytwo In Blue“ gibt es Songs übers Erwachsenwerden („Twentytwo“), gescheiterte Beziehungen („I Was A Fool“) und andere private Themen, dennoch hat sich der Fokus ein wenig verschoben.

Denn vor allem die Präsidentschaft von Donald Trump und die Skandale, Krisen und Debatten, die seine Amtszeit prägen, haben Julia Cumming, Nick Kivlen und Jacob Faber aufgerüttelt und beschäftigt. Das sorgt auf einigen Songs von „Twentytwo In Blue“ für einen ungewohnt politischen Ton, etwa wenn Julia Cumming in der Vorabsingle „Crisis Fest“ genervt feststellt: „2017, we know/ Reality’s one big sick show/ Every day’s a crisis fest.“ Wir sprachen mit Sänger und Gitarrist Nick Kivlen über diesen politischen Subtext der Songs auf „Twentytwo In Blue“, Spontaneität im Studio und das aufregende 22. Lebensjahr der drei Musiker.

MusikBlog: Die Songs für euer Debütalbum „Human Ceremony“ entstanden über einen längeren Zeitraum, am zweiten Album „Twentytwo In Blue“ habt ihr nun ein Jahr lang gearbeitet. Ist es euch schwer gefallen, in kürzerer Zeit ein ganzes Album zu schreiben und aufzunehmen?

Nick Kivlen: Nein, überhaupt nicht. Wir haben sogar fünf Songs aufgenommen, die es gar nicht auf das Album geschafft haben. Es fiel uns leicht, genug Material für ein Album zu schreiben, unser Problem war eher das Gegenteil einer Schreibblockade. Wir hatten einfach zu viele Ideen, an denen wir arbeiten wollten. Weil wir zuvor lange auf Tour waren, konnten wir nur selten an neuen Songs arbeiten. Deshalb hatten sich so viele Ideen angestaut, dass uns die Arbeit an „Twentytwo In Blue“ überhaupt keine Probleme bereitete.

MusikBlog: Gibt es bei eurem Debütalbum „Human Ceremony“ Dinge, mit denen ihr heute nicht mehr zufrieden seid und die ihr bei der Arbeit an „Twentytwo In Blue“ anders machen wolltet?

Nick Kivlen: Wir hatten dieses Mal viel mehr Zeit im Studio und konnten uns ausgiebig mit Kleinigkeiten und Details beschäftigen. Deshalb kann ich ehrlich sagen, dass jedes Detail auf „Twentytwo In Blue“ exakt so klingt, wie wir es wollten, und ich überhaupt nichts ändern würde, wenn ich heute die Möglichkeit dazu hätte. Während der Arbeit an unserem Debütalbum waren wir nur elf Tage im Studio, da bleibt weniger Zeit für den Feinschliff. Wenn ich heute „Human Ceremony“ höre, denke ich schon an manchen Stellen: Das hätten wir noch besser machen können, wenn wir die Zeit dazu gehabt hätten.

MusikBlog: Wie lange wart ihr denn für „Twentytwo In Blue“ im Studio?

Nick Kivlen: Wirklich lange! (lacht) Eine genaue Zahl kann ich dir aber nicht nennen, dafür habe ich den Überblick verloren, weil es sich so lange hingezogen hat. Auf jeden Fall waren es deutlich mehr als elf Tage.

MusikBlog: Birgt das nicht die Gefahr, dass die Spontaneität verloren geht?

Nick Kivlen: Auch wenn man sehr lange an Songs arbeitet, kann man dennoch spontane Momente erleben und einfangen. Sogar an den letzten Tagen im Studio hatten wir manchmal plötzliche Eingebungen, die Songs noch einmal eine andere Wendung gegeben haben. Es ist sogar eher umgekehrt, dass man viel mehr Möglichkeiten hat, spontane Ideen einzufangen, wenn man dafür mehr Zeit hat. Bei nur elf Tagen im Studio versucht man krampfhaft, alle kreativen Ideen in eineinhalb Wochen gebündelt rauszulassen. Das kann dich auch blockieren. Bei einem längeren Studioaufenthalt muss man aber aufpassen, dass man die Songs nicht kaputt verbessert. Man muss den richtigen Moment finden, um loszulassen und zu akzeptieren, dass der Song fertig ist.

MusikBlog: Mit Blick auf die politischen Ereignisse in den USA und der Welt hast du in einem Interview gesagt, dass es als Künstlerin oder Künstler beinahe unmöglich, nicht über diese Dinge zu schreiben. Hast du das Gefühl, dass die Musikszene in den letzten Jahren politischer geworden ist?

Nick Kivlen: Das gilt nicht nur für die Musikszene, sondern ganz allgemein für die Menschen in den USA. Seit Trumps Präsidentschaft beschäftigen sich alle, die ich kenne, viel intensiver mit Politik und engagieren sich in irgendeiner Form politisch. Man kann diesen Themen ja auch gar nicht mehr entfliehen, weil es jeden Tag einen neuen Skandal, eine neue Kontroverse oder eine neue Debatte gibt. Gestern war es die Gesundheitsvorsorge, heute sind es Waffengesetze und so weiter. Heute diskutieren Menschen im Alltag mehr über politische Themen, als sie es während der gesamten Amtszeit von Obama getan haben.

MusikBlog: Als ihr angekündigt habt, dass euer zweites Album von den politischen und gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit inspiriert sei, habe ich mit einem wütenderen Album gerechnet.

Nick Kivlen: Unsere Band lebt von dem Gegensatz zwischen härteren Rockmomenten und ruhigen Balladen. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich unsere Musik. Deshalb könnten wir kein Album schreiben, dass nur aggressive und wütende Songs enthält. Wenn ich selbst Musik höre, mag ich auch am liebsten Alben, die sowohl ruhige als auch wütende Elemente vereinen.

MusikBlog: Dennoch klingt ihr auf eurer ersten EP „Show Me Your Seven Secrets“ viel wütender und aggressiver als auf diesem Album.

Nick Kivlen: Das stimmt. Andererseits war der erste Song, den wir ins Netz gestellt haben, eine Ballade – nämlich „Bread“. Insofern könnte man sagen, dass von Anfang an beide Seiten unseres Sounds vorhanden waren. Dennoch würde ich auch sagen, dass wir heute nicht mehr so aggressiv klingen wie auf dieser EP, die wir im Keller eines Freundes aufgenommen und selbst produziert haben. Das hängt aber vor allem damit zusammen, dass wir unseren Sound verfeinert haben.

MusikBlog: Auf eurem Album „Twentytwo In Blue“ behandelt ihr diese politischen Themen auf einer eher persönlichen Ebene. Wolltet ihr damit den komplexen Themen ihre Abstraktheit nehmen?

Nick Kivlen: Ein Song hat eine stärkere emotionale Wirkung, wenn sein politisches Thema von einer persönlichen Geschichte eingerahmt wird. Außerdem ist das kein Widerspruch, schließlich betrifft uns Politik direkt. Man kann diese beiden Ebenen also nie trennscharf voneinander abgrenzen. Deshalb gibt es auf unserem Album einige Songs wie „Burn It“ oder „Crisis Fest“, die auf den ersten Blick womöglich persönlich wirken, aber dennoch einen klaren politischen Subtext besitzen.

MusikBlog: Auf dem Debütalbum „Human Ceremony“ blieben die Texte oft vage, waren offen für Interpretation, für „Twentytwo In Blue“ habt ihr dagegen eine direktere Sprache gewählt. Hängt das mit den politischen Themen zusammen?

Nick Kivlen: Ich glaube, der Grund dafür ist viel eher, dass wir selbstbewusstere Songwriter sind, die den Mut haben, mehr von sich in ihren Songs preiszugeben. Mit den politischen und sozialen Themen des Albums hat das weniger zu tun. Dass die Texte auf „Human Ceremony“ mehr Interpretationsraum boten, hängt auch damit zusammen, dass wir damals entweder nicht den Mut hatten, tiefere Einblicke zu gewähren, oder nicht die Fertigkeiten, es exakter auszudrücken. Wir sind seitdem als Songwriter gereift.

MusikBlog: Würdest du „Twentytwo In Blue“ ein politisches Album nennen?

Nick Kivlen: Als wir „Twentytwo In Blue“ geschrieben haben, sind so viele Dinge in unserem Leben passiert, dass die elf Songs von sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Themen handeln. Einige davon haben einen politischen Kern, andere aber nicht. Deshalb würde ich nicht von einem politischen Album sprechen, auch wenn manche Songs sich mit politischen Fragen auseinander setzen.

MusikBlog: Wie der Titel bereits andeutet, handeln die elf Songs auch davon, dass ihr nun 22 Jahre alt seid. Was zeichnet diese Lebensphase für euch aus?

Nick Kivlen: Dieses Jahr war für uns ziemlich verrückt, weil wir wieder lernen mussten, wie man ein normales Leben führt. 2016 waren wir mehr als neun Monate auf Tour, den größten Teil des Jahres reisten wir umher und spielten Shows. 2017 kamen wir dann nach Hause, mussten wieder in unser altes Leben zurück finden, trafen uns mit Freunden, die wir ein Jahr lang aus den Augen verloren hatten.

Das war eine krasse Umstellung, weshalb dieses Jahr für uns so besonders ist. Außerdem fällt es uns immer schwer, einen Titel für ein Album zu finden, der alle Songs inhaltlich abdeckt, obwohl diese von sehr verschiedenen Themen handeln. Die elf Songs unseres neuen Albums eint, dass wir sie in diesem einen Jahr geschrieben haben. Deshalb bot es sich an, im Albumtitel auf diese Zeitspanne, unser 22. Lebensjahr einzugehen.

MusikBlog: Nach eurem Debütalbum habt ihr die EP „From The Basement“ mit Coverversionen veröffentlicht, die Originale stammen fast alle aus den 70ern. Habt ihr manchmal das Gefühl, das goldene Zeitalter eurer Lieblingsmusik verpasst zu haben?

Nick Kivlen: Nein, ich glaube, dass heute Musik veröffentlicht wird, die mindestens so gut ist wie die in den 70ern. Der große zeitliche Abstand zu diesem Jahrzehnt macht es nur einfacher, die herausragenden Klassiker zu erkennen. Wir werden erst in einem Jahrzehnt wissen, welches Album aus den letzten Jahren ein zeitloser Klassiker ist, der auch in Zukunft noch gehört werden wird. Bei einem Album aus den 60ern, 70ern oder 80ern weiß man, dass dieses Album stilprägend war und welchen gesellschaftlichen Einfluss es hatte. Bei Musik, die heute erscheint, sind wir einfach zu nahe dran, um das abschätzen zu können. Das bedeutet aber nicht, dass sie schlechter ist als Musik der Vergangenheit.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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