„I feel like Beyoncé.“, gesteht Dave Grohl, die langen Haare im Wind und den Zeigefinger auf den Sonnenuntergang gerichtet, der entgegen aller Wetterberichte doch noch von der Trabrennbahn Bahrenfeld in Hamburg erkennbar ist.
Die Foo Fighters sind in Hamburg, und füllen dieses Jahr als erster von mehreren Acts die Trabrennbahn. Fast 60.000 Besucher, Ausmaße, die eher ein Festival als die Show einer einzelnen Rockband vermuten lassen – oder eben Beyoncé.
Auf dem Weg zum Konzertgelände folgen Menschen mit Foo-Fighters-Shirts einander und den Wegweisern zur Trabrennbahn, die, von ihrer eigenen Kapazität sichtlich überfordert, durch öffentliche Verkehrsmittel kaum zu erreichen ist und Pilgermärsche von seinen Besuchern einfordert.
In der S-Bahn hört man durch blecherne Handylautsprecher aus mehreren Richtungen die Lieder der beiden Vorbands, The Kills und Wolf Alice, am Hauptbahnhof trifft man weit Angereiste mit Koffern, in die locker die gesamte Foo-Fighters-Diskographie auf Vinyl reinpassen würde.
Ob die es wohl noch pünktlich auf das Gelände schaffen, auf dem sage und schreibe drei Merchandise-Stände und unzählige Fressbuden, die über die üblichen Pommes Rot-Weiß weit hinausgehen, Platz vor der riesigen Bühne finden? Würden die Menschen hier stinken und wären die Schlangen vor den Dixi-Klos länger, könnte man sich gut vorstellen, auf einem Festival zu sein, einem Ein-Tages-Süßkartoffel-Pommes-Festival.
Wolf Alice dürfen schon am Nachmittag vor das Publikum treten, das zu diesem Zeitpunkt noch mehr strömt als lauscht. Die britische Rockband um Ellie Rowsell liefert trotzdem ab, spielt mit „Yuk Foo“, „Beautifully Unconventional“, „Don’t Delete The Kisses“ und dem Titeltrack des zweiten Albums, „Visions Of A Life“ alles, was nötig wäre, um einen Club zum Kochen zu bringen.
Doof nur, dass stattdessen zigtausende Menschen auf der Suche nach dem Bier kaum noch Kapazitäten übrig haben, um ihrem größtenteils atmosphärischen Sound zu lauschen.
Etwas besser läuft das ganze bei The Kills. Die Trabrennbahn und jeder auf ihr ist etwas voller, und füllt sich weiter. Alison Mosshart und Jamie Hince bringen Gitarrenmusik, die konkreter und schnörkelloser daherkommt als die von Wolf Alice. Ein Mangel an Dichte im Sound der US-Amerikaner kommt ihnen eher zu Gute.
Bei Songs wie „Doing It To Death“ besteht kaum das Risiko, dass sich die ikonischen Melodien in der Weite der Location verlieren und verirren. Applaus und Gesang bestätigen, was die Musik des Duos begründet. Zum Abschluss wird noch einmal „Foo Fighters“ ins Mikrofon gebrüllt, damit auch der letzte weiß, was als nächstes ansteht.
Um Punkt acht Uhr betritt die letzte große Rockband der Welt die Bühne. Ob es die Band selbst war, die diesen Claim in die Welt gesetzt hat, oder ob die Medien dafür gesorgt haben, dass die Gruppe um Dave Grohl diesen Anspruch dank kontinuierlichem Chart-Erfolg ohne zu große Aufschreie aufrechterhalten kann, weiß heute Abend niemand.
Dass Grohl Rockmusik liebt, weiß dafür sehr früh im Set jeder. Zwischen den ersten Songs „Run“, „All My Life“, „Learn To Fly“ und „The Pretender“ wird er nämlich nicht müde, diese Liebe mehrfach zu betonen.
Die inflationäre Nutzung des Wortes „Motherfucker“ erinnert in diesem Zusammenhang ein wenig daran, wenn Mama oder Papa etwas zu viele Smileys, vereinzelt sogar Blumen in gefühlt hundertfacher Ausführung, in den Chat einbauen um ihre Liebe auszudrücken. Grohl liebt Rockmusik wie sein eigenes Kind.
Ein Kind, das in regelmäßigen Abständen daran erinnert werden möchte, wer seine wahren Eltern sind. Und weil Grohl so ein guter Typ ist, holt er sie alle auf die Bühne. John Lennon/Van Halen mit „Imagine“ bzw. „Jump“, Freddie Mercury und Queen mit „Under Pressure“ und „Another One Bites The Dust“ und die Ramones mit „Blitzkrieg Bop“ sind zwar alle nicht persönlich da, dürfen aber auf dem Thron Platz nehmen, den die Foo Fighters seit Grohls Genesung zu Hause lassen. Dafür darf dann Taylor Hawkins ans Mikrofon und tauscht für seine Mercury-Imitation mit Grohl die Plätze.
Trotz aller Kritik daran, dass die Foo Fighters in Folge eines immerzu ähnlichen Sounds ein Problem damit haben, selbst eine ikonische und individuelle Palette zu entwickeln, muss man der Band aus Seattle eingestehen, dass sie wie kaum eine andere Erfahrung mit großen Bühnen und ein Gehör für schmissige Hooks hat.
Mit genug Tempo, euphorischer Aggression und Tracks wie „Monkey Wrench“ und „Wheels“ bilden sich im Publikum regelmäßig Kreise, die größer als jene an den Bierständen sind und sich erheblich schneller auflösen, die wartenden Mengen aufeinanderprallen lassen.
Jetzt wird jeder Song gespielt, als wäre er der letzte, mit ausführlichen Soli und Bandvorstellung geziert. Bemerkenswert ist, wie viel Kraft Grohl auch nach zwei Stunden noch hat. Ohne sichtbare Ermüdungserscheinen brüllt er mit Mosshart von den Kills um die Wette, rennt von der einen Seite der Bühne zur anderen und hält zwischendurch ausführliche Reden über die beeindruckend Menge an Menschen, mit denen er nie im Leben gerechnet hätte.
Gegen Ende des Konzerts hat Dave Grohl einen lichten Moment, in dem er sich in die wohlige Intimität eines Clubkonzerts zurückversetzt fühlt. Er lädt das gesamte Publikum ein, am nächsten Morgen in einem Weinladen unweit seines Hotels auf seine Kappe zu trinken. Mit dem Beifall tausender Menschen wird dem Rockstar wohl doch klar, dass er zu sehr Star ist, um so etwas ernsthaft meinen zu können, ein bisschen zu „Beyoncé“, um zum Kumpel seiner Fans zu werden.
Wenn dann aber doch zigtausende Menschen zu der Musik der Foo Fighters schwitzen, einige Hundert ihnen nur noch zuprosten und ein paar Dutzend torkelnd oder liegend noch versuchen, den Rhythmus zu halten, wenn außerhalb des Konzertgeländes Menschen auf Container klettern und sich dort mit Liegestühlen niederlassen, dann kann man den Foo Fighters eigentlich nur noch dankbar sein dafür, dass sie der Rockmusik eine so gigantische Bühne ermöglichen.
Und wer das kann, darf sich jedenfalls um den Titel der größten Rockband unserer Zeit bewerben.