Ein Gisbert Zu Knyphausen-Konzert ist poetische Alltagsflucht in das Alltägliche. Die besten, dramatischsten und schönsten Geschichten schreibt das Leben schließlich noch immer selbst. Und zu Knyphausen kann das Große im Kleinen besser transportieren als die meisten anderen.

Er packt Gefühle in Reime, die Normalsterbliche nicht mal in Prosa beschreiben können. Das war auf seinem selbstbetitelten Debüt von vor zehn Jahren genauso eindringlich wie auf dem hervorragenden Nachfolger „Hurra Hurra So Nicht“

Deshalb kommen die Normalsterblichen auf einer Alters-Range zwischen Studentenstatus und frisch pensioniert auch in Scharen gerannt, wenn er etwa im Rahmen des geschmackssicheren Karlsruher Zeltivals genau das richtige Ambiente für seine Show erwischt.

An der Seite fallen noch die letzten Sonnenstrahlen durch die halboffene Zeltwand, da leuchtet das Innere des Konzertsaals in angenehmen Blau- und warmen Gelbtönen, die von Lampen vor senkrecht montierten Schlagzeug-Becken ausgehen. Ein erfrischend anderes Lichtkonzept, das an den lauten Stellen auch in stroboskopisches Blitzlicht umschlägt.

Das passiert vor allem dann, wenn zu Knyphausen seine älteren Stücke, wie das großartige „Neues Jahr“, mit Hilfe seiner beiden Bläser zu beinahe noisigen Free-Jazz-Monstern anschwellen lässt. Vor zehn Jahren hatte er die Bläser noch nicht, heute braucht er sie für die Songs der neuen Platte „Das Licht Dieser Welt“ und packt sie auch sonst überall hin, wo sie noch reinpassen könnten.

An mancher Stelle ist das auch mal zu viel des Guten, fügt aber Alt und Neu dekorativ zusammen. Zwischen „Hurra Hurra So Nicht“ und „Das Licht Dieser Welt“ liegen immerhin sieben Jahre. Dazwischen ist dem Sänger aus dem hessischen Rheingau das Leben passiert.

Mit dem Hamburger Songschreiber Nils Koppruch nimmt er 2012 als Kid Kopphausen ein Album auf. Nur zwei Monate nach der Veröffentlichung stirbt Koppruch an einem Herzstillstand. Das wirft zu Knyphausen so aus der Bahn, dass er lange braucht, um sich wieder an eine Platte zu wagen. „Das Licht Dieser Welt“ ist immer dann am besten, wenn man diese Trauerarbeit beinahe schmerzlich nachfühlen kann.

Beim dramatisch-melancholischen „Kommen Und Gehen“, für das zu Knyphausen ans Piano wechselt, fließen dann auch beim Publikum die Tränen. Noch emotionaler wird es, als zu Knyphausen erklärt, dass sie 2012 mit Kid Kopphausen beim Zeltival auftreten wollten, und die gesamte Tour aus bekannten Gründen ausfallen musste.

Dem besten Kid-Kopphausen-Song, „Das Leichteste Der Welt“, wird die Ehre zuteil, den Schlusspunkt des offiziellen Sets zu markieren. Der Text lässt sich heute auch treffend auf zu Knyphausens Comeback umdeuten:

„Erst lag ich eine Weile lang im Koma, jetzt bin ich endlich wieder wach/ Ich hab‘ euch Blumen und Pralinen vom Arsch der Hölle mitgebracht/ Ich lerne langsam wieder laufen und gebe den Dingen einen Namen.“

Er ist vom Zuspruch sichtlich gerührt und weiß, wie so oft, nicht mehr zu sagen als „vielen lieben Dank“. Aber warum sollte er auch, wenn alles, was gesagt werden muss, schon in seinen Songs steckt? Und wie sich das dann erst recht nochmals überdeutlich, laut, mit Stroboskop, Posaune und Trompete in der letzten Zugabe, dem genial arrangierten „So Seltsam Durch Die Nacht“ Bahn bricht:

„Im Taumel fühlen wir uns wohl, ein Hoch auf den Alkohol/ Komm, einer noch, ich kann dich noch seh’n/ Und wir labern immer viel zu viel, doch wir sehn gut dabei aus, ja was wir tun, das hat Stil/ Doch ich hab Angst vor dem Ende der Nacht, wenn das Licht uns fängt und der Tag uns bloß müde verlacht.“

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