Ende September, der Kiez im Gewand des Reeperbahnfestivals. Fast 600 Veranstaltungen stehen bevor. Spielbudenplatz, die Nachzügler noch umtriebig am Aufbau. EUT spielen im N-Joy Reeperbus. Netter Indie, mit schöner Stimme. Die Stimmung relaxed, gemütlicher wird es die vier Tage nicht mehr werden. An der Geilen Knolle jetzt schon weniger gemütlich. Jaguwar schließen den Nachmittags-Gig mit ordentlich Drownes ab.

Viel Mühe ging in die Optimierung vom Festival Village am Heiligengeistfeld. Rollrasen gegen Asphalt. Das Planschbecken ein Schiffscontainer mit Einhorn, ääh.. Fritzhorn. Wir sind ja in Hamburg.

Stimmung trotzdem eher zäh. Das ändert sich mit Dives, drei jungen Damen aus Österreich. Dunkler Sound in praller Sonne. Langsam, rauchig düstere Stimme, der Bass wichtiger als die Gitarre.

Zurück am Spielbudenplatz das Kontrastprogramm. BLOND, es glitzert pink und liebenswert.

Einstimmung vorbei, es geht los. Hope im Sommersalon. Privater Empfang davor, rappelvoll, unfreundliche Security. Offene Fensterwand als Hintergrund, viel Farbe.

Hope in bester Laune nach sechs Stunden im Auto. Wie schön kann schmerzhafter Noise sein, wie beruhigend die treibenden Ruhepausen. Christine in Höchstform, primale Instinkte und intellektuelle Eleganz im Wechsel. Sound noch dichter als im Frühjahr. Der neue Track „Shame“ tiefe Langsamkeit. Es lebe der Schraubenzieher an der Gitarre. Sehr abschließender Beginn des Festivals.

Ilgen-Nur im Mojo Club. Schnell aufsteigender coming to age Indie, die Coverstory vom Festival Magazin. Letztes Jahr noch in der Hanseplatte. Gut gemachter, solider Sound lädt zum Mitwippen ein. Leider fehlt etwas die abwechslungsreiche Pointe.

NUAGE & das Bassorchester im Thomas Read. Parallelwelt mit Gerümpel, Keller tief unter dem Irish Pub. Das Orchester haben wir nicht gefunden, dafür der Bass unseren Bauch. Probleme mit der Anlage gut gemeistert. So muss moderner Punk sein. Durch den Bauch in den Kopf. Maximale Divergenz der optischen und akustischen Darbietung.

Goat Girl. 1.000 Leute im Häkken? Nein, aber ein Versuch war‘s wert. Deutlich jünger als ihr reifer Sound. Super organischer Sound, gekonntes Spiel mit der Dynamik. Gesang warm und voll, Gitarren mit Country-Einschlag sehr dicht. „Country Sleaze“ der passende Abschluss für den ersten Tag.

Donnerstag, das Wetter hält. Einziges Zentrum der Stimmung im Village mal wieder Bazzookas. Keine Ahnung, wie der Bus das über die Jahre aushält. Spielbudenplatz schon um 18 Uhr komplett voll. HAERTS sorgen auf der Astra Bühne für nette Beschallung.

Athletic Progression im St. Pauli Museum. Drei Jungs aus Aarhus mit Schlagzeug, Bass und Keyboard. Jazz auf Steroiden. Rhythmisch hochkomplexe Drums in Symbiose mit fließenden Electronica. Der Laden platzt aus allen Nähten. Publikumsinteraktion wie bei einem Jazzkonzert, frenetischer Applaus nach jedem Solo. Gerade die Drum-Solos haben es in sich.

Danach RÁN auf der gleichen „Bühne“. „Keine Zeit für Soundcheck, ihr müsst ohne Monitore anfangen“ war die Ansage vom Veranstalter. Das ungleiche Duo aus Berlin (Laura Landergott und Yair Karelic) nimmt‘s zerknirscht gelassen, der Auftritt leidet nicht darunter. Am Micro wechseln sie sich ab, Drums, Bass und Keyboards kommen aus dem Mac-Book.

Dafür holen sie live alles aus ihren Gitarren raus, was dieses Instrument hergibt. Tiefes Zupfen wie ein Bass, Harmonien, Schrammeln, Zerren. Harmonisch bis Noise, ebenso abwechslungsreich der Gesang. Schmeichlerisch bis hypnotisch auf den Punkt. Experimentierfreudiger Alternative Rock, der in einen größeren Club gehört hätte.

Zum Abschluss [LEAK] im Sommersalon. Security immer noch nicht freundlich. Das junge Quintett aus Nürnberg ganz in Schwarz. Barfuß auf der Bühne wie Sängerin Rachel kennen wir, Pünktchensocken an den Keyboards sind neu.

Der Gig startet mit dunklen Gothic-Anleihen, akustische Gitarre mit Geigenbogen gestrichen. In-Ear Monitore kommen raus, die fünf wissen auch so ganz genau, was sie tun. Harmonische Dunkelheit wird aufgebaut, messerscharf in experimentellen Noise zerlegt und wieder zu treibendem Art-Rock zusammengesetzt.

Bass gespielt als Rückkopplung der Bass-Drum. Alle zutiefst konzentriert eins mit ihrer Musik. Instrumente wechseln durch. Optisches Zentrum Rachel in der Mitte. Ihre versunkene Bewegung Ausdruck der Musik. Ihre dezente Verbindung mit dem Publikum die Brücke in unsere Welt. „I. am. not. OK.“ Authentisch rübergebracht, ihr Strahlen nach dem Gig spricht andere Worte.

Freitag. Hamburger Wetter ist zurück, kuschelige 16 Grad, ab und zu Schauer. Weniger los am Spielbudenplatz, aber die gute Stimmung hält. Entspannter als sonst am Freitag, weniger Junggesellen.

Dafür treibt es alle in die Clubs. Viel zu lange Schlangen, selbst vor den kleinen Clubs am Hamburger Berg. Die Schlange vorm DOCKS schon 2 Stunden vor Öffnung bis zur Davidwache. Auch so kann man einen Abend rumbringen.

Nach langer Schlange vor der Prinzenbar, Viagra Boys. Fünf Jungs auf der kleinen Bühne. Der Bassist wie ein Fels in der Mitte. Betoniert eine unverrückbare Wand aus Bass in den Raum. Die bleibt bis zum Ende unverändert stehen, dazu wenig abwechslungsreiches Schlagzeug. Die Rhythmus-Sektion geht jetzt schon in die Füße. Darum sortiert sich aufputschend die Musik. Als wäre es nicht schon eng und gut genug, kommt das Saxophon.

Bester Punk zwischen klassischer Tanzbarkeit und Anspruch. Sänger Sebastian oben ohne, komplett tätowiert. Innige Verbundenheit mit dem Microständer, am Boden wälzend, Bier ins Publikum, Strangulation mit dem Kabel, Rauchen. Alles erinnert an die Zeiten, als Gott die Königin noch schützen musste. Das T-Shirt des Keyboarders – „No Future“. „Sports“, die neue Single. Dankbar aufgenommen, das Publikum tobt sportlich.

Großes Feuerwerk am DOCKS, die Zeit am Spielbudenplatz bleibt stehen. Der Überraschungs-Gig bei der Warner Music Night ist Muse, vermutlich der größte Applaus des Festivals.

Zur Abwechslung ausreichend lange Umbaupause für Gewalt. Falls die Anlage nicht genug hergibt, haben sie Verstärker dabei, als gäbe es kein Morgen mehr. Patrick Wagner schon beim Soundcheck in bester Laune. Intellektuelle Rampensau. Licht aus, Blaulicht an, mehr Beleuchtung gibt es nie.

Der Drumcomputer DM1 legt den Takt, Bass und Gitarre noch moderat. Patrick kommt dazu, gewohnt im verdreckten weißen Anzug. Die beiden „eiskalten Engel und ein dummer alter Mann“ optisch im krassen Gegensatz. Glamour und hohe Absätze gegen abgefuckten Anti.

Lautstärke reicht, Schalldruck wie eine akustische Windmaschine. Das Set gewittert sich unerbittlich durch die meisten veröffentlichten Stücke. Erschöpftes Publikum danach. Der Sound gibt Energie für den Körper, zieht Energie aus dem Kopf.

Karies zu weit weg, also Kulturwechsel. Noga Erez im Grünspan. An den Rändern der Bühne zwei E-Drumkits und Elektronik, der Bass wummert friedlich. Noga kommt dazu, alle Klischees erfüllt. Weiße Kniestrümpfe, glänzende Boxershorts, Goldkette-. Der Arm wippt ausgestreckt im Takt. Ernst oder Parodie? Von beidem etwas.

Musikalisch abwechslungsreich von R’nB bis Hip-Hop. Nahezu alles live gespielt, kaum Retorte. Das wichtigste Instrument die Vielfalt ihrer Stimme. Harmonischer Abschluss nach all dem Lärm.

Samstag und letzter Tag. Fatherson versuchen, die Stimmung am Village zu heben. Das klappt genau so lange, bis gleichzeitig Bazzookas Gas geben. Das Publikum rennt förmlich im Laufschritt weg und tobt am und im Bus, das hätte man besser timen können.

Belako im Grünen Jäger. Raumklima in drei Minuten von leer zu Sauna. Unprätentiöser als die vier Basken kann eine Band die winzige Bühne nicht betreten. Attitude Schülerband in T-Shirt und Turnschuhen, die Haare kürzer als beim Reeperbahn Festival 2016. Guter Garage-Rock zum Beginn.

Die Bühne zu klein für Monitore und Band. Sängerin Cris im Publikum, um sich selber hören zu können. Feuert die Stimmung noch mehr an. Aus Garage wird Abwechslung. 80er Elektronik legt sich unter den rockigen Sound. Vocals zwischen Sprechgesang, emotional und laut.

Gefühlt endlos und abartig schnelles Drum/Bass Solo mit Gesang. Danach nur Gitarre mit Gesang, Sound einer leiernden Kassette. Ansagen machen alle vier abwechselnd, der ganze Auftritt sehr demokratisch.

Die Plattenregale rutschen wieder an den Rand. Ringelpullover werden Hintergrund der improvisierten Bühne. Die Hanseplatte wird Bühne für Kala Brisella. Großzügig eingequetscht auf zwei Quadratmetern eröffnen die drei mit „Dein Du“. Hohe Musikalität zieht sich als roter Faden durch den Gig. Drums so direkt wie es nur geht.

Die meisten Tracks von der frisch veröffentlichten Platte “Ghost“. Das Publikum hat Spaß, die Band offensichtlich auch, wenn nicht gerade zu viele Saiten auf einmal reißen. Zum Abschluss holen sie mit lärmigeren Post-Punk der ersten Platte nochmal alles aus den Gästen raus. Sehr schöner Abschluss in maximal privater Atmosphäre.

Sehr gelungenes Festival, mit oder ohne Sonne. Große Bandbreite des Line-Ups sorgte für viel Abwechslung. Unbekannte Bands bekommen die Chance zu überraschen, eine tolle Plattform. Nur spannend, wie es weitergeht. Komplett ausverkaufte Tickets und lange Schlangen zeigen, dass weiteres Wachstum schwierig werden wird.

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