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Joris – Schrei es raus

Was kann man von dem zweiten Album eines Künstlers erwarten, der mit seinem ersten drei Echos gewonnen hat – den Preis, der, als es ihn noch gab, regelmäßig das Ende des interessanten Teils einer Künstlerkarriere markierte.

Man nähert sich „Schrei Es Raus“, dem besagten zweiten Longplayer von Joris, durchaus ein bisschen vorbelastet und, dass im Pressetext steht, er sei in allem „MEHR“ als sein Vorgänger, „die Texte tiefer, die Inbrunst größer“, lässt Böses ahnen.

Wir versuchen, die Platte trotzdem unvoreingenommen zu hören. Und siehe da, das klingt eigentlich ganz gut: schöne Instrumentale, selbstverständlich blitzsauber produziert, zum Teil sogar mitreißend (z.B. „Du“).

Das Problem ist nur, man hat andauernd das Gefühl, alles schon mal gehört zu haben, und zwar nicht auf die Art, bei der man seinen Mitmenschen stundenlang auf die Nerven gehen muss, um herauszufinden, an was man sich eigentlich erinnert gefühlt hat, sondern auf folgende:

„Kommt Schon Gut“ (Opener des Albums) läuft 4,5 Sekunden – „Krass, das klingt wie ein Track aus „XOXO“ von Casper, nur mit Lumineers-Heys.“ Oder: „In Zeitlupe“ läuft 9 Sekunden – „Cool, ist das „Youth“ von Daughter?“.

Neben dieser Versammlung von nett klingenden Gemeinplätzen, gibt es ein weiteres Problem, und zwar ein viel größeres: Jeder (!) der 13 Songs lässt sich folgendermaßen paraphrasieren:

„Hey, es ist zwar alles nicht ganz leicht momentan, und wir haben unsere Probleme, aber wir besitzen die Kraft, trotzdem glücklich zu sein!“

Hier ein paar Proben dieser so ausgelutschten, stets mit dem in der 1. Person Plural formulierten Anspruch, das Lebensgefühl einer Generation auszudrücken, verbundenen Perfektion im Unperfekten.

„Wir waren dem Himmel so nah, es war doch gut so. […] Warum sind wir nicht geblieben? Lass uns nochmal in Zeitlupe tanzen, alles vergessen während wir uns drehen.“

Oder: „Wir sind Zukunft und Erinnerung und irgendwo dazwischen singen wir Nächte lang im Takt der Musik, mit Tränen in den Augen, aber lachendem Gesicht.“

Etwa eine Minute und 20 Sekunden lässt uns „Feuerwesen“ glauben, dass es auch anders geht, Joris singt zu heimeligem Gitarren-Gezupfe von Feuerwesen in der Nacht: kitschig, aber im Rahmen.

Dann bricht das Dilemma dieses Albums über den Song herein, wie die Sintflut über Noahs ungläubige Nachbarn: Die Gitarre geht zwischen Streichern und einem perkussiven Imagine-Dragons-Beat – den der Produzent wahrscheinlich angenehm „erdig“ fand – unter, und Joris predigt: „So oft hab’ ich das Glück verflucht, mich dem Zweifel anvertraut, doch Feuerwesen leuchten auf“.

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