Mike Vennart hatte den Verdacht, dass sich niemand so recht für seine Platte interessieren würde. Als die Show zu Ende ist stehen dafür sehr viele Interessierte für „To Cure A Blizzard Upon A Plastic Sea“ am Merchstand Schlange. Und Mike Vennart? Er steht daneben, schüttelt Hände, signiert sein Album, plaudert mit den Fans.

Eines lässt sich seinem heiteren Gesichtsausdruck nicht entnehmen: Ist er eher überrascht, dass sich doch jemand interessiert, oder hat er insgeheim längst seinen Frieden damit gemacht, dass die Venues, so sehr er sich auch ins Zeug legt, nie über den unteren dreistelligen Bereich hinausgehen werden?

Für letzteres sind selbst die neueren Songs, wie das eröffnende „Binary“, einfach zu fordernd. Es ist das Nischen-Publikum, das sich an dem von der ersten Sekunden an grandios druckvollen und doch äußerst differenzierten Sound, an einer unglaublichen Spielfreude Vennarts und einer Perfektion der Band insgesamt erfreut.

Vennart ist guter Dinge, scherzt über „Steven Patrick Fucking Morrissey“, stimmt die Gitarren weil „History taught us, it sounds better this way“, und spielt seine Songs wie „Infatuate“, „Immortal Soldiers“ oder „Spider Bones“ wie aus dem Lehrbuch.

Er spielt dieses entscheidende Deut dreckiger, so dass die Live-Versionen sogar die der Platte schlagen. Auf engem Raum ist das maximal gelungenes Sparten-Entertainment. Das ist ein Zwiespalt: Einerseits schön, wenn man unter sich bleibt, anderseits fühlt sich das ungerecht an.

Eine weitere Vennart-Weisheit besagt aber, er wäre lieber die Lieblingsband von zehn Leuten, als die zehnt-liebste von einer Million. Und eines lässt sich unter Garantie behaupten: Von den rund 120 Zuschauern im Kölner Club Bahnhof Ehrenfeld sind gewiss mehr als zehn Leute, die in Vennart ihren gegenwärtigen Lieblingskünstler gefunden haben.

Es sind die Leute, für die eine Welt zu Grunde ging, als sich Oceansize 2011 auflösten. Leute, die die Raffinesse der Rockmusik immer ihrem schwartigen Gehabe vorziehen. Die wissen, dass eingängige Rhythmen aus völlig ungängigen Taktmustern möglich sind. Dass die unbändigen Fingerfertigkeiten eines Kollektivs rausch-hafter sein können, als die Soloqualitäten einzelner. Dass Dream Theater scheiße sind und Progrock ganz andere Maßstäbe verdient.

Vennart hat sie nicht vergessen und mit Steve Durose und Gambler wohl auch deshalb die größtmögliche Oceansize-Reunion auf die Bühne geholt. Die beiden Sidekicks spielen „Duke Fame“ und „Operate“ von Vennarts Solodebüt „The Demon Joke“, als wären es ihre eigenen Songs.

Vennart selbst hat gesanglich im Vergleich zu früheren Oceansize-Konzerten noch mehr als nur eine Schippe draufgepackt, was dann auch den Stücken seiner einstigen Band zu Gute kommt. Als letzten Song des offiziellen Sets kommt „Part Cardiac“ von der letzten offiziellen Oceansize-Platte „Self Preserved While the Bodies Float Up“ – und Wünsche werden wahr.

Auf die erste Zugabe „Friends Don’t Owe“ folgt mit der Oceansize-Nummer „Build Us A Rocket, Then…“ der größte Arschtritt-Song des Abends, womit der lauteste dem leisesten und endgültigsten Moment des Konzerts den Weg ebnet. Und Wünsche werden wahrer.

Die über jeden Zweifel erhabenen Oceansize-Ballade „Music For A Nurse“ vom Zweitwerk „Eveyone Into Position“ ist progressiver Postrock, der die Zeit anhält. Danach kann es nur noch heißen: Schlange stehen.

Man möchte nicht pathetisch werden oder gar übertreiben. Aber allein um der Gerechtigkeit willen war es bitter nötig, diese studierten Übermusiker, die vieles dafür tun, um auf keinen Fall studiert zu klingen, wieder in erster Reihe auf der Bühne zu sehen. Wie sie ihre eigenen überwältigenden Songs noch überwältigender abliefern.

Zu sehen, dass sie so viel mehr können, als lediglich im Schatten der großen Biffy Clyro die Hits anderer Leute zu spielen. Natürlich weiß auch das Publikum nur zu gut: Als Tour-Gitarrist von Biffy Clyro – damit ernährt Vennart seine Familie. Dem Kontostand der Schotten sei Dank, ist dieser Abend wohl überhaupt erst möglich. Eine klassische Win-Win-Win-Situation, gerade für die Interessierten.

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