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Sleaford Mods – Eton Alive

Wenn morgen „Eton Alive“ rauskommt, das neue Album der Sleaford Mods, dann mit dem Schwung einer Promotionstour im Rücken, um die die effekt-aversiven Mittelstandsregenten Jason Williamson und Andrew Fearn dankbarer nicht sein könnten. 

Das medienwirksame Hickhack um den Brexit zeigt nicht nur, mit welchem Kalkül das legislative Entscheidungsgremium des britischen Oberhauses in affektgeladene Deutungsvertreter elitärer Machtstrukturen abdriftet. 

Viel interessanter ist tatsächlich – in jedem Fall für die Musik der angepisstesten Electropunker zwischen Carlisle und Plymouth – auf welche Weise die desillusionierte Ohnmacht großer Teile der Zivilbevölkerung in binäre, reaktionäre und zwanghafte Enttäuschungsmuster zerbröselt, um dann von der Band in eine unmittelbare Antwort übersetzt zu werden, die den common ground so gut wie jeder Brit*in dieser Tage bildet: Wut.

Genau hier, irgendwo zwischen Ressentiment, working class, künstlerischer Selbstermächtigung, Ironie und postmodernem Referenzspektrum positioniert sich das nunmehr fünfte Album der Mods, die auf ihrer selbstgegründeten Tellerschmiede Extreme Eating nicht nur in die Spur der produktions- und vermarktungstechnischen Unabhängigkeit zurückfinden, sondern mit dem Labelnamen gleich ein weiteres ihrer Feindbilder benennen: den unersättlichen Wohlstand.

Da kann es kaum verwundern, dass Rapper Williamson zuletzt an den Idles bekrittelte, sie stellten sich in den Schatten der Arbeiterklasse, um von dort aus deren Stimme zu adaptieren.

Hintergrund ist ihr zuletzt erschienenes Zweitwerk „Joy As An Act Of Resistance“ (2018), welches sich unter anderem auch – nicht nur dem Titel nach! – als sozio-politischer Querschnittsversuch der Generation Brexit verstand. 

Ob Williamson daran stört, dass Joe Talbot, Sänger der verhassten Punk- und Post-Rock-Garde, die schönere Stimme hat oder eventuell doch bloß befürchtet, dass sich der Unique Selling Point der Sleaford Mods in ideologischer Einverleibung anderer Schichten der Popkultur befindet, we can’t tell.

Wichtig ist jedoch fraglos, und das beweist jedes einzelne Stück auf „Eton Alive“, dass Williamson und Fearn alles oberhalb der bürgerlichen Mitte erfolgreich umkurven.

Warum das gerade für den politischen impact einer Band von Bedeutung ist, die den brodelnden Subtilkräften der Marginalisierung mit musikalisch deckungsgleicher Lo-Fi-Masche begegnet, ließe sich auf Seite 1 des 77er-Punkmanifests nachschlagen.

Es bleibt dabei: Wird Subkultur ökonomisch vereinnahmt, gibt es sie bei H&M. Wird sie ideologisch beansprucht, ist sie kulturzerstreuter Mainstream. Wird sie politisch als Weidenkätzchen innerhalb der bürgerlichen Mitte gehandelt, kann sie als Teil des Systems selbiges nicht mehr subversiv unterwandern.

Es ist also klar, welchem Auftrag sich die Sleaford Mods künstlerisch verpflichten. Dann ist es nun mal so, dass man eben kaum ein Wort über die Musik eines Albums verlieren muss.

Manchmal ist es ganz einfach spannender, sich mit der Wechselwirkung von Sub- innerhalb der Pop- gegenüber der politisch-gesellschaftlichen Kultur zu beschäftigen, wobei letztere in diesem Dialog überhaupt erst die Wirksamkeit eines Albums wie „Eton Alive“ gewährleistet.

„Into The Payzone“ verachtet mit sinistrem Grundton und analogen Bit-Modulen die Verlockungen der hipsteresquen Lebenswelt, während man dank der bass- und frequenzverzerrten „Kebab Spider“ endlich weiß, von wem Eric da eigentlich in Mr. Oizos „Flat Beat“ angerufen wurde.

Zu zahlreichen Field Recordings und Instrumental-Samples mogeln sich im weiteren Verlauf des Albums Dark-Wave-Zitate (Joy Division bleibt die Mutter aller Referenzen auf dieser Welt!) wie in „OBCT“, wobei gerade der minimalistische Anspruch der Sleaford Mods eine unbekümmerte Authentizität formuliert, die so manche Band schon per Unterschrift an das Müllschluckerdiktat der Major-Label-Hierarchie abgetreten hat.

Dass das Duo dann noch zum souveränen Selbsterniedrigungsakt greift, indem es – selbstverständlich mit intendiertem Dilettantismus – die Tröte spielt, gehört zur Pose.

Wenn dieser unprätentiöse down-to-earth-Proletarismus in „When You Come Up To Me“ jedoch einen harmonischen Oktavenwechsel vornimmt, könnten die Sleaford Mods glatt als charttoppende Elektropopper durchgehen.

Musikalisch ist grundsätzlich nicht viel anders als auf dem Vorgänger „English Tapas“, einfach weil Jason Williamson und Andrew Fearn schon vorher mit so gut wie nichts außer Bass, Drummachine und Vocals gearbeitet haben.

Und dennoch skizziert „Eton Alive“ vom UK Garage in „Top It Up“ bis zum Breakbeat in „Subtraction“ erneut eine detailreiche Chronik der von der britischen Rave-Kultur beeinflussten Stile.

Bleibt nur abzuwarten, ob die Vintage-versessene ASOS-Generation 2019 noch auf das klagende Aufbegehren der Sleaford Mods anspringen kann.

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