Der erste Gedanke an irischen Folk weckt wahrscheinlich nicht die progressivsten Assoziationen. Man würde den Konsum dieser Musikrichtung entweder bei unbelehrbaren Nostalgiker*innen vermuten oder, wenn man Klischees mag, in einem Rahmen verorten, wo der Alkohol eine erhebliche Rolle spielt.

Lankum beweisen, dass man falscher nicht liegen könnte und dem Genre Unrecht tut, wenn man es auf feucht-fröhliches Kneipen-Gegröhle beschränkt, denn selten wurde eine so traditionsreiche Materie in einer derart einzigartigen Weise neu bearbeitet wie auf deren neuem Album „The Livelong Day“.

Unter den acht Songs der Platte befinden sich sowohl eigene als auch traditionelle irische Stücke, die seit Jahrzehnten zum Volksgut gehören. Doch auch bei letzteren merkt man genau, dass Lankum eine bloße Imitation zu langweilig wäre. Stattdessen machen sie sich Altbewährtes zu Eigen.

Das bedeutet nicht, dass traditionelle Irish-Folk-Klänge auf der Platte gar nicht zu finden sind. Lankum schaffen es aber, jene Sounds, mit denen wir alle dank des Irish Pubs unseres Vertrauens bestens bekannt sein dürften, aus ihrem leicht verstaubten Kontext zu lösen und in ein modernes Setting einzubetten.

Verantwortlich dafür ist die Art und Weise, wie die Band mit klassischen Instrumenten umgeht. Sie zweckentfremden diese – beispielsweise die Uilleann Pipe, welche die irische Version des Dudelsacks darstellt – und kitzeln aus diesen so Klänge heraus, die man in diesem Genre und mit diesem Equipment nie vermutet hätte.

Zu hören ist das beispielsweise in dem instrumentalen Song „The Pride Of Petravore“, dessen Originalfassung vermutlich mehr als 100 Jahre auf dem Buckel hat. In der Lankum-Version wird er umrahmt von einer finsteren Sound-Collage und Drone-Elementen, ab und zu hört man das unkomfortable Quietschen einer Flöte, die mehr als nur ein bisschen verstimmt wirkt.

Bei anderen Stücken verhält es sich ähnlich: Volkslieder werden mit dröhnenden Ambient-Kostümen verkleidet und mit einer experimentellen Herangehensweise bearbeitet.

Selbst wenn es klanglich mal konservativer und ruhig bleibt wie bei „The Young People“, sorgt die überzeugende Darbietung der Lyrics für jene Düsterheit, die diese Platte ausmacht.

Deshalb ist „The Livelong Day“ vom ersten Track an gleichzeitig verwirrend und fesselnd. Man meint nämlich, den Großteil der Grundbausteine, aus denen das Album besteht, zu kennen, ist jedoch die finstere, teils sogar bedrohliche Atmosphäre, die diese umgibt, nicht gewohnt.

Das Album ist aber so interessant, dass es einen trotz einer gewissen Konfusion sofort einnimmt – auch ohne Guinness-Konsum.

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