Das Rätselraten ist groß im Carlswerk Victoria am Montagabend. Thrice und Refused sind nicht Support und Hauptact, sondern gemeinsame Headliner. Wer spielt also zuerst? Keiner weiß das so genau, was abseits des Regens eine Erklärung dafür sein könnte, dass die Location bereits um halb acht schon gut gefüllt ist.
Als das Licht eine Stunde später ausgeht, ist die Spannung groß, doch bereits in den ersten Sekunden zeichnet sich unverkennbar die schlaksige Silhouette von Dennis Lyxzén von Refused durch den Nebel.
Refused setzen während des gesamten Sets auf pure Energie. Dennix Lyxzén schreit sich die Seele aus dem Leib und zelebriert seinen kruden Mix aus Ausdruckstanz, Mikrofon-Akrobatik und Kong-Fu-Moves. Der Frontmann steht keine Sekunde still, auch wenn das Publikum sich gerade bei den neuen Songs noch in Zurückhaltung übt.
Aber Lyxzén belässt es nicht dabei, die Musik oder seinen ausgestreckten Mittelfinger für sich sprechen lassen und schwingt immer wieder ausufernde Reden über die Missstände unserer Zeit:
„Dieser Song ist für alle Menschen in Chile, in Hong Kong, für Menschen überall auf der Welt, die die Schnauze voll von dieser ganzen Scheiße haben und versuchen etwas zu verändern. Genau das versuchen wir auch, wenn wir jeden Abend auf die Bühne gehen.“
Und weiter sagt er:
„Kunst und Musik sollten in schwierigen Zeiten immer ein Hoffnungsschimmer sein. Vielleicht können wir eines Tages in einer Welt leben, in der Geld nicht den Wert eines Menschen vorgibt. Leben werden im Namen des Kapitalismus zerstört und wenn diese Leute die Hände nach uns ausstrecken, treten wir nach ihnen, weil uns jemand eingeflüstert hat, dass wir Angst vor „den Fremden“ haben müssen. Das ist Bullshit.“
Dass Lyxzén mit solchen Reden beim Kölner Publikum offene Türen eintritt, ist keine Überraschung.
„Ich habe eine Frage. Glaubt ihr, ihr habt noch Energie für einen letzten Song? Ja? Seid ihr euch ganz sicher?“ Es gibt kein besseres Beispiel für eine rhetorische Frage, denn das ganze Publikum scharrt bereits nervös mit den Füßen.
Das einstündige Refused-Set endet mit dem größtmöglichen Höhepunkt – „New Noise“. Wer vorher höflich mit dem Kopf genickt hat, der rastet jetzt aus. Denn auch nach 20 Jahren zündet einfach kein Song dermaßen Feuer, wie dieser alte Überhit der Schweden.
Im Gegensatz zu Lyxzén energiegeladener Performance wirkt Thrices Dustin Kensrue im Anschluss fast statisch, denn er geht die Sache ganz anders an.
Abgesehen von den üblichen Floskeln, wie „Vielen Dank, dass ihr da wart“, kommen dem Frontmann abseits seines Gesanges keine Worte über die Lippen. Publikumszurufe ignoriert er gekonnt und nur bei „The Earth Will Shake“ animiert er die Zuschauer allein durch Gesten zum Mitklatschen.
Aber das Kölner Publikum braucht auch keine Extra-Einladung. Bei „The Artist In The Ambulance“ übernehmen die Zuschauer absolut textsicher den Refrain.
Und spätestens wenn bei „Black Honey“ aus allen Kehlen ein lautstarkes „And this time I’ll get it right“ kommt, dürften Thrice sich sicher sein, dass auch sie am heutigen Abend in Köln alles richtig gemacht haben. Denn die musikalische Komplexität der Kalifornier schwebt über allem.
Egal ob melancholische Ballade oder aggressive Gitarren-Schwergewichte wie „The Arsonist“: Thrice liefern ihr Best-Of-Set quer durch die Bandgeschichte in Perfektion ab und lassen das Carlswerk Victoria in bestem Sound erstrahlen.