Seit der Veröffentlichung des Debütalbums „Philharmonics“ im Jahr 2010 steht der Name Agnes Obel für die perfekte Symbiose aus popmusikalischer Leichtigkeit und folkiger Tiefe. Auch auf ihrem mittlerweile vierten Studioalbum „Myopia“ paaren sich wieder luftige Soundelemente mit mystischen Klangeinwürfen, eingebettet in eindringlicher Dichte. Wir trafen die dänische Sängerin zum Interview und sprachen über Wahrnehmung, Vertrauen und Schlafstörungen.
MusikBlog: Agnes, auf deinem neuen Album „Myopia“ dreht sich inhaltlich vieles um gedankliche Wahrnehmung. Bist du jemand, der seiner persönlichen Wahrnehmung blind vertraut?
Agnes Obel: Ich denke, die Wahrnehmung ist ein komplexes Themenfeld. Ich habe mich schon auf meinem letzten Album intensiv mit dem Einfluss verschiedener Dinge auf die persönliche Wahrnehmung beschäftigt. Es gibt innerhalb dieses Themenbereichs unheimlich viel zu entdecken. Auf dem neuen Album geht es um Vertrauen und Zweifel. Es geht um elementare Fragen und darum, für sich selbst herauszufinden, inwieweit äußere Einflüsse die Wahrnehmung verändern können.
MusikBlog: Für die Verschmelzung der Texte mit der Musik hast du dich wieder einmal in eine sogenannte „Blase“ zurückgezogen, zu der niemand sonst Zugang hat. Wie wichtig ist dir dieses isolierte Arbeitsfeld?
Agnes Obel: Es ist einfach meine Art zu arbeiten. Ich brauche diese Blase, um mich komplett fallenlassen zu können. Das ist mir sehr wichtig. Ich schalte in dieser Phase komplett ab und tauche in eine Welt ein, in der sich alles ausschließlich um die Musik dreht.
MusikBlog: Demnach hörst du in puncto Inspiration auch keine Musik von außen?
Agnes Obel: Ich bin ein Mensch, der unheimlich viel Musik hört. Mir wird von Bekannten und Freunden immer sehr viel neue Musik zugetragen. Dann heißt es immer: Hör dir mal das hier an. Oder: Was hältst du hier von? Das ist immer sehr spannend für mich. Aber wenn es dann um meine eigenen Ideen und um mein eigenes Bauchgefühl geht, dann schalte ich komplett ab.
MusikBlog: Wie schon erwähnt, Vertrauen spielt diesmal eine große Rolle in den Texten. Kannst du schnell Vertrauen fassen?
Agnes Obel: Das kommt natürlich immer auf die Situation an. Aber grundsätzlich bin ich schon jemand, der relativ schnell Vertrauen fasst. Auf der anderen Seite hinterfrage ich aber auch Vieles. Als Musiker beispielsweise spielen Zweifel eine große Rolle, wenn es um die eigene Entwicklung geht. Man kann als Künstler nur dann die nächsten Schritte gehen, wenn man Tag für Tag gewillt ist Fragezeichen zu setzen.
MusikBlog: Sind diese Eckpfeiler deines Arbeitsprozess – die angesprochene „Blase“ und das regelmäßige Hinterfragen – die Hauptgründe dafür, dass du dich letztlich für eine Solo-Karriere entschieden hast?
Agnes Obel: Ich habe früher in Bands gespielt. Ich kenne die Strukturen innerhalb eines Kollektivs. Und ich weiß auch wie es sich anfühlt, wenn man innerhalb eines Solo-Projekts mit verschiedenen Menschen zusammen arbeitet. Ich kenne diese Situationen. Und ja: Ich bin jemand, der so nicht wirklich erfüllend arbeiten kann. Ich war während dieser Konstellationen nie wirklich nah an meiner eigenen musikalischen Idealvorstellung. Und das war immer sehr enttäuschend für mich. Ich kann meine musikalischen Visionen nur sehr schwer in Worte fassen. Innerhalb eines Kollektivs ist Konversation aber sehr wichtig, denn nicht jeder fühlt die Musik wie der andere. Das hat irgendwie alles nie so richtig gut funktioniert. Jetzt mache ich die Dinge mit mir selber aus. Das klappt wesentlich besser.
MusikBlog: Es gibt unheimlich viele intensive und tiefgehende Momente auf dem Album. Mein persönlicher Songfavorit ist „Broken Sleep“, ein Song über Schlafprobleme. Du selbst leidest in unregelmäßigen Abständen unter Schlafstörungen. Hat das Schreiben dieses Songs etwas an der Situation verändert?
Agnes Obel: (lacht) Nun, ich muss dazu sagen, dass es bei dem Song auch darum geht, sich bewusst über etwas lustig zu machen, was sonst vielleicht zu viel Entfaltungsraum bekäme. Wenn man einer vermeintlichen Angst mit Angst begegnet, dann steckt man irgendwann ganz tief in einem Dilemma drin. Ich leide schon seit Kindheitstagen an unregelmäßigen Schlafstörungen. Das ist aber nicht so dramatisch. Es ist halt so, dass ich oftmals nicht gut einschlafen kann wenn ich zu aufgeregt oder nervös bin.
MusikBlog: Wann warst du das letzte Mal so richtig nervös?
Agnes Obel: Ich weiß jetzt nicht ob es wirklich das letzte Mal war. Aber ich war letztens zu Promo-Zwecken in Japan. Da war ich extrem nervös. Ich war vorher noch nie in Japan. Und folgerichtig konnte ich die Tage nur sehr schlecht schlafen. (lacht)
MusikBlog: Du lebst und arbeitest nun schon sehr lange in Berlin. Ursprünglich kommst du ja aus Kopenhagen. Mit welchen Argumenten hat dich Berlin von einem dauerhaften Leben und Arbeiten in der Stadt überzeugen können?
Agnes Obel: Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Zeit in Berlin erinnern. Ich traf damals unheimlich viele Elektro-Musiker, denen strukturiertes, erfolgsorientiertes Arbeiten nicht wichtig war. Da ging es ausschließlich um die künstlerische Weiterentwicklung. Da hatte auch niemand ein Label hinter sich. Das hat mir sehr imponiert, und mich auch inspiriert. So entwickelte sich bei mir ein sehr offenes Denken ohne Zwang und Druck. So etwas kannte ich noch nicht. In Kopenhagen war alles pop-orientierter und auf zeitnahen Erfolg ausgelegt. Mit dieser Mentalität wurde ich in Berlin nie konfrontiert. Das hat mich schon sehr beeindruckt.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.