Die deutschen Ausnahmekönner The Notwist sind sieben Jahre nach ihrem bis dato letzten regulären Studioalbum zurück und zementieren ihren Status als die besten Sonderlinge, die dieses Land seit den glorreichen Krautrock-Tagen der 70er hervorgebracht hat.
„Vertigo Days“ wirkt dabei wie eine aus 14 Partituren bestehende Indie-Operette, die unaufhörlich um- und ineinander fließt und die besten Bestandteile der Notwist-Diskografie wohldosiert verteilt.
Bereits der auserwählte Auftakt mit gelooptem Jazz-Schlagzeug und der Stimme der Argentinierin Juana Molina bannen ungemein. Als hätten The Notwist in Alejandro González Iñárritu’s Meisterwerk „Birdman“ eine kurze Nebenrolle, währende die Kamera auf Schienen einmal kurz ihren musikalischen Raum abfährt.
Der geloopte Beat des Intros wird in fast allen anderen Stücken wieder aufgegriffen, genau wie die Songtitel und melodische Themen. Es bleibt konstant jazzig, mal im Rhythmus, mal in den Bläsern, mal in beidem zugleich, wie im großartigen „Into The Ice Age“, wo Markus Archer mal eben in wenigen Sätzen das große Kapitel Klimaveränderung punktuell aufgreift.
„Pick up the phone and answer me at last”, sang er schon auf ihrem Indietronic Opus Magnum “Neon Golden”. Jetzt heißt es „Automatic all alone/ I’m not on the phone“”. Die Telefon-Metapher, sie hält sich ebenfalls konstant und entwickelt sich sachte weiter.
„Where You Find Me“ steht in seiner schrulligen Niedlichkeit und der wie bei den Oberbayern üblichen, über jeden Zweifel erhabenen Instrumentierung und Produktion in gerader Blutlinie zu „The Devil You An Me“.
Das Folgewerk zu „Neon Golden“, das sich in keiner Weise dahinter verstecken muss, es steht ihrem nunmehr achten Album näher, als der unmittelbare, elektronischere Vorgänger „Close To The Glass“ und kennt in kompositorischer und künstlerischer Freiheit kaum Grenzen.
Es wirkt dabei doch leicht, wie im bezeichnend betitelten „Loose Ends“, referenziell, wie im Radiohead-Versatzstück aus gesampelten Stimmaufzeichnungen „Exit Strategy To Myself“. Vor allem aber veräußert es sich global, groß und universell. „Vertigo Days“ könnte überall auf der Erde stattfinden und sogar außerhalb unserer Welt.
Denn beim Krautrock in „Ship“ hätte John Lennon wohl auch heute, über 50 Jahre nach seinem Indien-Aufenthalt, nochmal sehr genau hingehört. Can sind hier Referenz und Inspiration und das Fernöstliche maßgebend. Sängerin Saya, von der japanischen Band Tenniscoats, hat einen Gastauftritt. Ihre Landsleute von der Band Zayaendo dekorieren das finale „Into Love Again“.
Mit diesen und den tausend anderen Details wird man noch lange seine Freude haben. Denn dass „Vertigo Days“ eine ausgezeichnete Platte ist, steht bereits fest. Dass sie sich über die kommenden Wochen und Monate womöglich gar zu einem regelrechten Meisterwerk aushört, ist keinesfalls ausgeschlossen.