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Ich will, dass mein Körper alles aufnimmt – Yann Tiersen im Interview

Mit seinem neuen Album “Kerber” im Gepäck wagt sich Yann Tiersen in elektronische Gefilde vor. Nach seiner Archiv-Arbeit vor zwei Jahren (“Portrait“) verbindet der Franzose nun seine klassischen Trademarks mit Elementen der Moderne. Wir trafen Yann Tiersen zum Interview und sprachen mit ihm über musikalische Wechselbäder, kartografische Titelspielereien und demotivierende Live-Accessoires.

MusikBlog: Yann, es gibt prägnante musikalische Unterschiede zwischen deinem letzten Album “Portrait” und deinem dieser Tage erscheinenden neuen Werk “Kerber”. Hat dich ein bestimmter Moment oder ein bestimmtes Ereignis in Richtung “Veränderung” gelenkt?

Yann Tiersen: Nun, “Portrait” war natürlich ein ganz anderes Unterfangen. Da ging es darum, alte Songs und Ideen in ein neues Bild zu rücken. Damals haben wir komplett analog gearbeitet, nahezu ohne Computer oder anderweitige Elektronik. Diesmal lief es ein bisschen anders. Aber um deine Frage zu beantworten: Nein, einen bestimmten Moment gab es da nicht. Wir wollten ja letztes Jahr mit “Portrait” auf Tour gehen. Das klappte wegen Corona leider nicht. Also habe ich gleich mit den Arbeiten an “Kerber” angefangen.

MusikBlog: Du hast den neuen Sound bereits angesprochen. “Kerber” hat ungewöhnlich viele elektronische Parts mit an Bord. Wie kam es dazu?

Yann Tiersen: Wer mich schon etwas länger kennt, der weiß, dass ich einst mit elektronischer Musik angefangen habe. Im Laufe der Jahre haben sich die Arbeitsprozesse immer mal wieder geändert. Diesmal war es irgendwie mal wieder an der Zeit für mehr Experimente mit elektronischen Sounds.

MusikBlog: Das Album trägt den Titel “Kerber”. Es gibt Songtitel wie “Kerdrall”, “Ker Yegu” und “Kerlann”. Welche Verbindung steckt dahinter?

Yann Tiersen: Ich versuche schon seit dem Album “All” eine Verbindung zwischen der Musik und bestimmten Orten herzustellen. Das zeigt sich manchmal bei den Titeln. Manchmal gibt es aber auch andere Verknüpfungen. Da steckt auch ein kartografischer Drang dahinter. Diesmal war es so, dass ich die Songs nach Ortschaften in der Nähe meines eigenen Wohnortes benannt habe.

Ich lebe ja auf einer kleinen französischen Insel. Dort bilden manchmal schon zwei einzelne nebeneinander stehende Häuser eine Ortschaft. Das ist ziemlich lustig und sehr eigen. Meine Heimat ist für mich immer wieder eine Inspiration. Aber es gibt jetzt keine spezifische Verbindung zwischen Song und Ortschaft. Es geht einfach darum, zwei Dinge miteinander zu verbinden: Die Musik und einen Ort.

MusikBlog: Bei deinem letzten Album war auch deine Ehefrau mit in den Produktionsprozess involviert. Wer stand dir diesmal unterstützend zur Seite?

Yann Tiersen: Meine Frau hat diesmal nur ein bisschen im Hintergrund mitgearbeitet. Sie arbeitet gerade an ihrem eigenen Album. Im Grunde aber habe ich den Großteil des Albums alleine gestemmt.

MusikBlog: Produziert wurde “Keller” dann von Gareth Jones (Depeche Mode, Einstürzende Neubauten). Mit ihm hast du bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet.

Yann Tiersen: Ja, das stimmt. Gareth und ich, wir kennen uns schon ziemlich lange. Wir haben damals für das Album “Infinity” das erste Mal zusammengearbeitet. Das war eine tolle Erfahrung. Seitdem gehört er quasi zum erweiterten Teil der Familie. (lacht)

MusikBlog: Das Album wurde in einer sehr schwierigen und auch beängstigenden Zeit fertiggestellt. Hat dich die Pandemie und das ganze Drumherum dich in irgendeiner Form beeinflusst?

Yann Tiersen: Ich denke, dass diese Zeit bei allen Menschen Spuren hinterlassen hat. Mir ging es da nicht anders. Und es ist ja auch noch nicht vorbei. Als das alles anfing, habe ich mich erst einmal komplett zurückgezogen. Musik spielte da für mich keine Rolle. Ich war die meiste Zeit im Garten und habe Kartoffeln angepflanzt. Das war meine ganz persönliche erste Reaktion.

Irgendwann habe ich dann aber mehr und mehr zurück in meine alte Welt gefunden. Und dann saß ich plötzlich täglich im Studio und habe an neuen Songideen gearbeitet. Dieses Feuer hält auch noch an. Ich kann es auch kaum erwarten, bis das Album erscheint. Und ich freue mich auch schon wieder sehr auf die Konzerte, die hoffentlich bald wieder kommen werden.

MusikBlog: Apropos Konzerte: Auf welchen Bühnen stehst du eigentlich am liebsten?

Yann Tiersen: Wir haben auf der letzten Tour in einigen Theaterhallen gespielt. Da haben fast alle gesessen. Das hat mir irgendwie gar nicht gefallen. Wenn ich auf ein Konzert gehe, dann will ich die Musik mit meinem ganzen Körper spüren. Ich muss nicht zwingend ausrasten oder tanzen. Aber ich will, dass mein Körper alles aufnimmt. Und das kann er doch nicht, wenn er auf einem Stuhl hockt. Also mir ist es eigentlich egal, ich spiele gerne überall. Nur halt nicht ganz so gerne dann, wenn alle Zuschauer sitzen.

MusikBlog: Demnächst wirst du im Rahmen der Superbooth auf der Seebühne im FEZ Berlin auftreten. Was können wir erwarten?

Yann Tiersen: Da freue ich mich schon drauf. Ich arbeite gerade an verschiedenen Live-Versionen meiner Songs. Das wird sicherlich sehr spannend. Ich hoffe, dass das alles auch stattfinden wird.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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