Als Billy Bragg auf seiner Gitarre „Levi Stubb’s Tears“ und „There Is Power In A Union“ schrammelte, war es lokal- und geopolitisch übersichtlich und er längst vor seinem 1986er Album „Talking With The Taxman About Poetry“ antikapitalistischer Aktivist, der als solcher auch im Ostblock ein gern gesehener Gast war.
Vom Gold-Debüt „Life’s A Riot With Spy Vs Spy“ bis dato sind seine Platten (und mittlerweile Bücher) vom Bergarbeiter-Streik bis zum Brexit im Kampf um Fairness in „A New England“ und anderswo auf der Welt geeint, grundsätzlich geändert hat sich im Laufe seiner Karriere sowohl die Komplexität der Machtverhältnisse, als auch seine Umsetzung der brisanten Themen.
Die spartanische One-Man-Performance wandelte sich zum differenzierten Singer/Songwriter-Vortrag, der auf den meisten Veröffentlichungen seine musikalischen Wurzeln einschloss, sich zunehmend dem Balladesken öffnete und nach einer Zusammenarbeit mit Wilco für eine Woody-Guthrie-Hommage auch deren Indie-Folk einsickern ließ.
„Should Have Seen It Coming“ heißt es zum Auftakt vom zehnten Studioalbum „The Million Things That Never Happened“, welches zwar unter Pandemie-Eindruck entstand, Corona darauf aber grundsätzlich Sinnbild für schwierige Lebenssituationen ist.
„I Will Be Your Shield“ ist nach Billy Braggs Worten Herz und Seele der neuen Stücke, aus dem er nicht nur für sich die künstlerische Aufgabe ableitet, Hörer*innen mit Songs ein emotionales Schutzschild für „Good Days & Bad Days“ zur Verfügung zu stellen.
Erzählt wird von Selbstzweifeln in „Mid-Century Modern“, der Merkwürdigkeit von Social-Media-Posts in „Ten Mysterious Photos That Can`‘ Be Explained“ (mit Sohn Jack Valero als Co-Autor) oder von der Schwierigkeit im Umgang mit Wahlergebnissen in „The Buck Doesn’t Stop Here No More“.
Bluegrass legen sich über die Stücke, lädt das Piano aus „Lonesome Ocean“ und die Violine vom Titeltrack zur stillen Einkehr, lässt der warme Background-Gesang an Leonard Cohens „Ten-New-Songs“- Album denken, sprudelt im Gegensatz dazu die Fiddel von „Freedom Doesn’t Come For Free“ voller Lebenslust, finden neben melancholischen Momenten weiterhin Pop-Rock-Avancen ihren Platz.
Billy Bragg transportiert mit „The Million Things That Never Happened“ seinen unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Gemeinschaft auf einem überwiegend leisen Weg.