MusikBlog - Entdecke neue Musik

Wir sehen überall auf der Welt Ungerechtigkeiten – Imarhan im Interview

Auf der Liste der einflussreichen Tuareg-Rock-Bands stehen die Herren von Imarhan ganz oben. Schon seit vielen Jahren beherrschen die Herren Iyad Moussa Ben Abderahmane alias Sadam, Tahar Khaldi, Hicham Bouhasse, Haiballah Akhamouk und Abdelkader Ourzig die musikalische Symbiose aus Tradition und Moderne wie keine zweite Combo. Auf ihrem neuen Studioalbum “Aboogi” gewährt die Band ihren Anhängern einen tiefen Einblick in das Alltagsleben der Protagonisten. Kurz vor der Veröffentlichung des Albums trafen wir uns mit Band-Aushängeschild Sadam zum Interview und sprachen über vergessenes Leid, Heimatgefühle und die Magie der Gemeinschaft.

MusikBlog: Sadam, überall auf der Welt blickt man gerade in eine ungewisse Zukunft. Wie es um die Pandemielage in den großen Industrienationen bestellt ist, weiß mittlerweile jedes Kind. Aber wie sieht es in Afrika aus? Wie ist die Lage in eurer Heimat Algerien?

Sadam: In Algerien ist es so, dass wir in den großen Städten große Probleme haben. In Algier und in anderen großen Städten wie Oran und Constantine ist die Lage sehr angespannt und besorgniserregend. Je weiter man ins Land kommt, desto weniger bekommt man von der Situation mit. Bei uns im Süden in Tamanrasset ist es noch nicht ganz so schlimm. Aber auch hier leiden die Menschen unter den Bedingungen.

MusikBlog: Wie habt ihr als Band die letzten beiden Jahre erlebt?

Sadam: Für uns als Band waren die vergangenen Monate nicht einfach. Wir konnten nicht so arbeiten, wie wir wollten. Es gab viele Dinge, neue Regeln und Gesetze, die uns das Leben als Band, so wie wir es eigentlich kennen, sehr schwer gemacht haben. Aber es ging ja allen so. Niemand konnte mehr sein normales Leben leben. Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen. Ich bin voller Hoffnung, dass diese dunkle Zeit bald ein Ende hat.

MusikBlog: Wann genau habt ihr die Arbeiten für euer neues Album “Aboogi” begonnen?

Sadam: Das war im Frühjahr 2020. Eigentlich wollten wir das Album letztes Jahr herausbringen. Aber als wir fertig waren, gab es keinerlei Aussicht auf Besserung. Die gesamte Live-Situation war eine Katastrophe. Wir haben doch noch ein paar Monate gewartet. Jetzt freuen wir uns aber, dass das Album endlich veröffentlicht wird. Und wir hoffen natürlich auch, dass wir mit den neuen Songs bald auf Tour gehen können.

MusikBlog: Wenn du euer letztes Album “Temet” mit “Aboogi” vergleichst: Welche Unterschiede machst du fest?

Sadam: “Temet” ist ein Album, dass von seinem Live-Gefühl lebt. Dort gibt es viel mehr Uptempo-Momente und es klingt alles sehr rhythmisch und dynamisch. “Aboogi” hingegen liegt ein ganz anderes Fundament zugrunde. Wir haben uns im Jahr 2019 in unserer Heimatstadt ein Studio eingerichtet. “Abooni” ist das erste Album, das wir quasi zu Hause aufgenommen haben. Diese Ruhe und diese Sicherheit spiegeln sich auch im Sound des Albums wider. Es ist viel ruhiger geworden. Für uns war das Produzieren diesmal eine ganz neue Erfahrung. Das Gefühl, dass man im gewohnten Umfeld arbeiten und aufnehmen kann, war eine tolle Erfahrung für uns alle. Ich denke, dass man diese ganz besondere Atmosphäre auch gut draußen wahrnehmen kann.

MusikBlog: Eure Musik orientiert sich stark an den örtlichen Wurzeln. Kannst du uns diesbezüglich emotional ein bisschen mitnehmen?

Sadam: Wir leben unsere Musik. Wenn wir zusammenkommen, dann saugen wir alles auf, was um uns herum passiert. Unsere Heimat schenkt uns viel Inspiration. Der Boden, die Bäume, der Wind: All die natürlichen Begebenheiten fließen in unsere Gedanken und Gefühle mit ein. Wir lassen uns beim Musikmachen einfach auf alles ein, was uns beschäftigt und uns umgibt. Das ist die Basis.

MusikBlog: Ihr setzt euch auch diesmal wieder sehr offen und kritisch mit dem Leben in eurer Heimat auseinander. Wenn du die Möglichkeit hättest, ein grundsätzliches Gesellschaftsproblem zu lösen, für welches würdest du dich entscheiden?

Sadam: Wenn ich mir die Situation bei uns anschaue, dann ist da einfach ein sehr großer Unterschied zwischen dem Norden und dem Süden des Landes. Im Norden lebt der Wohlstand Algeriens. Ich wünschte mir, dass alles ein bisschen gerechter verteilt wäre. Wenn ich mir die ganze Welt anschaue, dann lässt sich das Problem in Algerien auch übertragen. Wir sehen überall auf der Welt Ungerechtigkeiten. Während einige Menschen und Länder mehr als genug haben und ständig mehr dazu bekommen, leben andere in Armut und Angst. Es wäre schön, wenn die Welt ein gerechterer Ort wäre.

MusikBlog: Diesen Wunsch und das Anprangern von anderen Ungerechtigkeiten teilst du nun schon seit vielen Jahren mit deinen Band-Partnern. Wie würdest du euch als Band beschreiben? Was schätzt du am meisten an deinen Kollegen?

Sadam: Wir sind nicht nur eine Band. Wir sind Freunde seit unserer Kindheit. Wenn es um die Belange der anderen geht, dann sind wir Brüder im Geiste. Wir kennen uns schon so lange. Da sind viel Vertrauen, viel Liebe und viel Respekt zugegen. Das Schöne ist, dass wir uns auch emotional gut ergänzen. Jeder hat eine andere Persönlichkeit. Hisham beispielsweise ist immer fröhlich. Ihn kann nichts trüben. Tahar ist eher der entspannte Typ. Und so geht es weiter und weiter. Jeder ist anders, und doch sind wir eine funktionierende und sich unheimlich wertschätzende Gemeinschaft.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

Facebook
Twitter

Schreibe einen Kommentar

Das könnte dir auch gefallen

Login

Erlaube Benachrichtigungen OK Nein, danke