Es ist eine Überraschung, die sich fünf Jahre nach „Relaxer“ nicht aufdrängte: alt-J strukturieren sich und machen mit „The Dream“ nicht nur ihr leichtestes, sondern auch ihr bestes Album seit ihrem grandiosen Debüt.

Vor zehn Jahren stellte „An Awesome Wave“ die Musikwelt auf den Kopf und wieder zurück auf die Beine, verdiente sich den Mercury-Prize und bescherte unzähligen daraufhin geborenen Mädchen den Namen Mathilda. Dem Trio aus Leeds war vom Stand weg ein kometenhafter Aufstieg beschieden, hin zu einer der erfolgreichsten britischen Bands der Zehner-Jahre.

Nach dem zweiten Erfolgsalbum “This Is All Yours” war das Status-Verwalten bereits die übergroße Herausforderung, um dann so schwermütig und verbissen zu experimentieren, dass der Begriff „Relaxer“ bis heute ein Loch in den Boden schlägt.

Das dritte Album belastete sich durch seine Intensität so sehr, dass man sich vorstellen kann, dass es die vollen fünf Jahre gebraucht hat, um sich davon zu erholen. Heute sind alt-J so leicht wie nie. Da ist kein Gramm Fett mehr auf den Tonspuren und doch ist die Band künstlerisch stabil davor gefeit, in die Magersucht zu schlittern.

„The Dream“ erzählt Geschichten von pazifischen Nächten und Tagen am Pool, von Chateau Marmont, Coca Cola und Polaroids. Von Amerika. Von Serienkillern.”I’m losing my mind, I’m losing my mind”, singt Joe Newman im gleichnamigen Stück. Er hat in den fünf Jahren seit „Relaxer“ etliche True-Crime-Podcasts verschlungen.

Schönheit und Dunkelheit liegen auf diesem Album auch deshalb meistens nebeneinander und gehen nahtlos ineinander über, wie in der wunderschönen Ballade „Get Better“: „Hallelujah, I’m listening to a recording of you sleeping next to me / A capella, I’m listening to you cover Elliott Smith’s ‘Angeles’.

Newman nimmt uns mit von Elliott Smith und Kalifornien nach „Chicago“ und weiter nach „Philadeplhia”. Beide Stücke lit as fuck und bekömmlich wie laktosefreier Frischkäse. Die neue Leichtigkeit gipfelt im beschwingt schludrigen „Hard Drive Gold“: „Don’t be afraid to make money, boy”.

Keine Sorge, es wird einiges dabei herumkommen, noch bevor sie beim versöhnlichen, schelmisch schmunzelnden Tagtraum-Finale „Powders“ angelangt sind, zu dem das Leben endlich wieder Sinn ergibt.

alt-J emanzipieren sich mit „The Dream“ endgültig zur größten Hoffnung auf so etwas wie einen allgemeinverträglichen Geschmacksnenner, den es per Naturgesetz gar nicht geben dürfte, ein künstlerischer Ur-Sinn in der Masse, das gute Opium fürs schlechte Volk. Warum sonst verkauft diese höchst eigenwillige Band die Hollywood Bowl und den Madison Square Garden aus?

Sänger und Gitarrist Joe Newman hat eine der markantesten, und gleichzeitig komischsten Stimmen überhaupt. Joe Newman klingt mindestens doppelt so sehr nach Joe Newman, wie Phil Collins nach Phil Collins – der klang bekanntlich immer nach sich selbst.

Die Unbekannte in der Gleichung ist folglich der Quell der Eigenständigkeit dieser Ausnahmeband, nach der die Masse dürstet. Fest steht, dass sie sehr ergiebig ist. Genießen wir es und verneigen uns vor alt-J mit der Formel: X = Newman – zwei Collins.

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