Der Wandel, den Kae Tempests Musik über die letzten Alben und zehn Jahre durchgemacht hat, wirkt immer mehr wie eine professionell durchgeführte Verdichtung, ein andauerndes Destillieren des eigenen Sounds, der immer klarer und intensiver wird.
Vieles bleibt aber auch. Die Atmosphäre zum Beispiel, die auch auf Tempests aktuellem Album „The Line Is A Curve“ so unmittelbar und eindringlich wirkt, dass man sich die Frage stellt, wie viele Ebenen dieses Kunstwerk eigentlich haben kann.
Da ist die Stimme, die sich irgendwo zwischen Gesang und intimem Geständnis näher anfühlt, als man es gewohnt ist. Die Texte, die in ihrer Poetik einen ganz eigenen Rhythmus entwickeln, erzählen von Traumata, richten den Blick nach innen und ziehen daraus allgemeingültige Schlüsse.
Auf „The Line Is A Curve“ pendelt so auch der Eindruck der einzelnen Songs stetig – vom retrospektiven, fast filmischen Slice-of-Life-Track „Smoking“ bis hin zum poppigen „More Pressure“, auf dem Kevin Abstract (früher bei Brockhampton) und sein Einfluss deutlich herauszuhören sind.
Es sind weniger durchchoreographierte Songs als eindrucksvolle Kurzgeschichten mit sphärischem Score. Die instrumentale Ebene scheint sich dem Gesang immer wieder anzunähern, nur um kurz darauf nur noch als verbleibender Hall wahrnehmbar zu sein.
Wie Erinnerungen und Eindrücke, die sich aufdrängen und dann doch schnell verblassen, wirken auch die einzelnen Tracks auf „The Line Is A Curve“ wie zusammenhanglose Ausschnitte, die gemeinsam ein Leben ergeben.
„The Line Is A Curve“ ist ein Album über die Findung des Selbst. Darüber, dass der schnellste und kürzeste Weg zu dem, was äußere Einflüsse unterdrückt und verhindert haben, nicht immer eine gerade Linie ist.
Kae Tempests multimediale Herangehensweise an die eigene Lyrik beeindruckt immer wieder durch kompromisslose Offenheit und Authentizität. „The Line Is A Curve“ macht da keine Ausnahme und veranschaulicht die Kraft der Poesie Tempests.
Aus persönlichen Erfahrungen werden geteilte Erkenntnisse und aus Unterschiedlichstem ein Ort für alle, der Sound einer Generation.