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Ich würde die Vergangenheit wählen – Kevin Morby im Interview

Wenn die Gegenwart von einer bedrohlichen Pandemie heimgesucht wird, wendet man sich lieber anderen Zeitebenen zu. Kevin Morby wandte sich für sein neues Album “This Is A Photograph” mit Hilfe verschiedenster Familienfotoalben der Vergangenheit zu. Wir trafen Kevin zum Interview und führten ein Gespräch über Positivität und Tod, Memphis und neue Wege, Gemeinschaft und Morby selbst.

MusikBlog: Dein neues Album kommt ja schon bald raus. Wie fühlst du dich vor dem Release?

Kevin Morby: Ich fühle mich sehr gut und freue mich schon darauf, dass die Leute es bald hören können.

MusikBlog: Ist bei dieser Platte denn etwas anders als bei deinen bisherigen Alben?

Kevin Morby: Ich glaube, dass diese Platte nach der Pandemie – oder in welchem Stadium der Pandemie uns wir auch gerade befinden mögen – gerade etwas Besonderes ist. Ich habe das alles so lange nicht mehr gemacht und dann kommt ja bald auch noch die Tour. Das fühlt sich neu an, auch wenn ich es natürlich schon mal gemacht habe.

MusikBlog: Das ganze Album hat ja mit einem Foto deines Vaters angefangen und deinen Gefühlen an dem Tag, an dem du es gefunden hast. Würdest du sagen, dass das Album generell ein nostalgisches geworden ist? Hast du während des Songwritings viel an die Vergangenheit gedacht?

Kevin Morby: Die Vergangenheit wurde für mich zu einem Ort, an dem ich mich behaglich gefühlt habe. Vor allem, weil sich die Gegenwart mit dem Virus und all dem, was in Amerika und der ganzen Welt passiert ist, für mich so uninspiriert angefühlt hat. So wurde die Vergangenheit für mich komischerweise zu einer Wohlfühlzone.

MusikBlog: War diese bewusste Reise in die Vergangenheit denn etwas, das du schon für alte Alben gemacht hast?

Kevin Morby: Nein, das war tatsächlich etwas Neues für mich. Ich habe natürlich ab und zu mal an früher gedacht, aber niemals in der Form wie jetzt. Hätte ich mich jetzt entscheiden müssen, ob ich mental gerade in der Vergangenheit oder der Gegenwart leben wollen würde, würde ich die Vergangenheit wählen. Das war ein sicherer Ort.

MusikBlog: Im Song “Five Pieces” gibt es ja auch diese Zeile “To stay there forever, to never leave.” Glaubst du denn, man tendiert auch dazu, die eigene Vergangenheit etwas zu romantisieren? Dass man sich vielleicht eher nur an die guten Sachen erinnert?

Kevin Morby: Ja, oder der eben das Gegenteil – dass man sich nur noch an die schlechten Dinge erinnert. Wenn man auf ein Foto schaut, sind die Menschen in diesem Objekt für immer festgehalten. Dadurch kann es für dich zu allem werden, was du möchtest. Es ist völlig offen für deine eigene Interpretation. Wenn du dir ein Foto von dir selbst nach vielen Jahren anschaust, denkst du dir ja auch “Oh, da bin ich, diese andere Version von mir.” Darauf wollte ich hinaus.

MusikBlog: Würdest du sagen, es gibt einen bestimmten Unterschied zwischen einem Foto und einem Album? Ein Album hält ja auch eine bestimmte Zeit für die Zukunft fest.

Kevin Morby: Ja, ich habe versucht, eine Linie zwischen beidem zu ziehen. Ein Album an sich ist ja auch wie ein eigenes Foto. Alben sind ja außerdem auch wörtlich ein Foto, wenn man sich die Cover anschaut. Ich habe viel darüber nachgedacht, was das Wort “Record” eigentlich meint und habe damit als Metapher gespielt. Musik ist auf der einen Seite natürlich hörbar und ein Foto nicht, aber ich mochte diesen Gedanken, dass beides Schnappschüsse von bestimmten Momenten sind.

MusikBlog: Eine sehr wichtige Station hinter dieser Platte war ja dein Besuch in Memphis. Hatte der Besuch auch einen Einfluss auf den Sound des Albums?

Kevin Morby: Ja, auf jeden Fall. Memphis hat eine sehr harte und zähe Aura. Ich habe versucht, Musik zu schreiben, die rau klingt. Die klingt wie ein altes Auto und Verstärker aus den 60er oder 70er Jahren, einfach unpoliert. So fühlt sich Memphis eben für mich an – wunderschön, aber eben mit Ecken und Kanten. Dadurch hatte die Stadt auf jeden Fall einen starken Einfluss auf den Sound, aber natürlich auch auf den Inhalt.

MusikBlog: Genau, du singst ja auch über einige Musiker*innen, die dort gestorben sind oder länger in Memphis gelebt haben. Hat sich deine eigene Beziehung zu diesen Leuten denn im Prozess der Platte verändert?

Kevin Morby: Absolut. Es gibt einige Leute, über die ich auf dieser Platte singe oder die mich dafür inspiriert haben, die mich vorher nie wirklich interessiert haben. Aber näher an ihrer Quelle und ihren Geschichten zu sein, hat mich sehr fasziniert. Wie bereits erwähnt, fühlte sich der Virus damals so beängstigend und uninspirierend an, dass ihre Geschichten lebendig wurden. Es hat einfach Spaß gemacht, sie zu erkunden, es hat mir auch Hoffnung gegeben.

MusikBlog: Das ist ja auch deswegen interessant, weil man sich mit ihnen trotzdem verbunden fühlen kann, obwohl sie nicht mehr da sind. Viele Musiker*innen denken ja auch darüber nach, was sie der Nachwelt hinterlassen wollen. Hast du darüber denn bei diesem Album nachgedacht?

Kevin Morby: Ja, darüber denke ich eigentlich bei all meinen Platten nach. Ich weiß, dass es sehr privilegiert ist, überhaupt Musik zu veröffentlichen. Ich stelle mir immer wieder vor, was wohl passiert, wenn ich mal nicht mehr da bin. Wird meine Musik unentdeckt bleiben? Oder ein neues Leben finden? Ich mag diesen Gedanken, dass, solange es Menschen gibt, auch immer jemand meine Stimme hören könnte. Ich mag es, diese Dokumente zu erzeugen, die auch über meinen Körper hinaus von mir existieren.

MusikBlog: Das ist ja auch irgendwo ein sehr romantischer Gedanke, dass man sein eigenes Nachleben auch etwas mitgestaltet. Zwar geht es auf der ganzen Platte ja auch viel um den Tod, gleichzeitig klingt es aber sehr empowernd und positiv. War es denn schwierig für dich, über den Verfall zu singen, und trotzdem optimistisch zu texten?

Kevin Morby: Ich mag es, es als positive Sache zu sehen, da die Geschichte weitergeht. Wenn ich über Jeff Buckleys Tod singe oder darüber in einem Interview spreche, entdeckt dadurch vielleicht jemand seine Musik für sich. Menschen, die sterben, können anderen Leuten etwas hinterlassen, das sie inspiriert. Dadurch regen sie auch nach ihrem Tod noch Gespräche an. Diese Songs sind für mich ein Weg, diejenigen, die bereits von uns gegangen sind, respektvoll zu würdigen.

MusikBlog: Besonders spannend, da du ja zum einen über dein eigenes Leben singst und zum anderen über das der berühmten Musiker*innen. Dadurch vermischen sich die beiden Welten auch etwas. War das so geplant oder kam diese Verbindung eher zufällig?

Kevin Morby: Ich glaube, das ist ganz natürlich. Man singt Stücke über das Leben anderer, fühlt sich mit ihnen verbunden und vergleicht sich mit ihnen. Alles ist also irgendwie gleichzeitig persönlich und über etwas anderes. Du lernst auch viel über dich selbst, wenn du die Leben anderer erkundest.

MusikBlog: Für diese Platte hast du außerdem auch viele Menschen zusammengebracht. War es denn ein merkwürdiges Gefühl, über den Tod zu singen und dann mit vielen Freund*innen zusammen das Leben zu feiern? Hatten sie auch einen Einfluss auf den Sound?

Kevin Morby: Es fühlte sich definitiv gut an, wieder mit Leuten zusammenzukommen. Mein voriges Album “Sundowner” hatte ich ja nur mit einer anderen Person gemacht, das war ein sehr persönliches, kleines Projekt. Dieses Mal wollte ich unbedingt Musik machen, die live Spaß macht. Wir hätten das Ganze natürlich auch günstiger und mit weniger Leuten machen können, aber wir wollten alle dabei haben und nicht an Geld denken. Wir saßen alle zusammen, haben zusammen gekocht und hatten einfach eine schöne Zeit. So hat es auch den Sound des Albums beeinflusst – es hat mich dazu gebracht, es noch größer zu denken.

MusikBlog: Was mir beim Hören der Platte auch aufgefallen ist, war, dass es auf der einen Seite sehr energetische, beinahe lustige Tracks wie “Rock Bottom” gibt und auf der anderen melancholische Songs wie “It’s Over”. Hattest du denn diese Bandbreite schon zu Beginn des Schreibens im Kopf?

Kevin Morby: Jeder Song steht irgendwie für sich alleine. Wenn man sich hinsetzt, um einen Song zu schreiben, bestimmt ja schon die Tonart die Stimmung des Songs. “It’s Over” habe ich in einer traurigen Phase geschrieben, “Rock Bottom” sollte so ein Party-Song werden. Meistens schreibe ich sowieso zuerst die Musik und dann die Lyrics, dadurch weiß ich vorher schon ungefähr, worum es gehen soll.

MusikBlog: Bald spielst du die Tracks ja dann auch wirklich schon live. Wird das anders als zuvor?

Kevin Morby: Ich glaube, es wird sich einfach toll anfühlen, wieder da zu sein. Jetzt gerade sollte man für jeden einzelnen Tag dankbar sein, mehr denn je zuvor. Wenn wir nur drei Shows spielen könnten und die vierte wird abgesagt, wäre ich schon dankbar. Das wird einfach eine große Feier.

MusikBlog: Glaubst du, es wird schwer, die Platte live zu spielen? Es sind ja so viele Instrumente zu hören.

Kevin Morby: Genau das wird ja das Schöne, denn dann kann ich viele Menschen mitbringen. Das macht meinen Job auch einfacher, denn wenn ich mal was falsch mache, bemerkt es niemand.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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