Nach dem großen Debütalbum „Homotopia“ plagte Sam Vance-Law ein nicht gerade schönes Gefühl: Liebeskummer. Aus dieser Notlage heraus entstand mit „Goodbye“ eine Nachfolger-Platte, die dem Herzschmerz mit Bombast, Chören und überraschend guter Laune ein Zuhause gibt. MusikBlog sprach mit dem Wahl-Berliner über queere Liebeslieder, die Beziehung zu Drangsal und die Hass-Liebe zum Saxophon.
MusikBlog: Hallo Sam! Du steckst ja gerade mitten in der Promo-Phase für deine neue Platte. Fühlt es sich denn anders an, über dieses Album zu sprechen im Vergleich zu deinem Debütalbum?
Sam Vance-Law: Bei diesem Album geht es ja um mich, also das ist schon mal anders. (lacht) Mir ist außerdem aufgefallen, dass mein erstes Album schon bestimmten Menschen jede Menge bedeutet hat. Aber ich habe jetzt schon das Gefühl, dass diese Platte – oder zumindest schon die ersten Singles – viel für Menschen bedeutet, die genau diese Musik jetzt brauchen. Und zwar wirklich genau jetzt. Und das ist schon ein sehr intensives und wundervolles Gefühl.
MusikBlog: Hast du denn auch bestimmte Sorgen oder Ängste vor dem Release des neuen Albums, wo die erste Platte schon vielen etwas bedeutet hat?
Sam Vance-Law: Die Sache mit dem ersten Album ist ja, dass niemand weiß, wer du bist. Damals gab es deswegen gar keine Erwartungen. Jetzt finde ich es spannend, mitzubekommen, wie Leute darauf reagieren. Ich habe meinen Teil ja erledigt und jetzt bin ich einfach sehr interessiert an den Reaktionen. Alleine bei den heutigen Interview-Fragen kamen schon spannende Perspektiven auf.
MusikBlog: Das ganze Album dreht sich um Liebeskummer und du hattest selbst erzählt, dass queere Liebeslieder sehr lange gar nicht erlaubt waren. Würdest du denn sagen, dass Queerness dem sonst so heteronormativen Liebesthema eine neue Färbung verleiht?
Sam Vance-Law: Das ist eins dieser Themen, das schwierig aus meiner Perspektive aus zu beantworten ist, da ich ja nur eine Person bin. Queere Erfahrungen sind so unterschiedlich und divers, dass es schwierig ist, zu sagen, queerer Liebeskummer sei an sich ein Ding. Alles, was ich mit ziemlicher Sicherheit aus meiner Sichtweise sagen kann, ist, dass wir genau so leiden wie alle anderen. Wie wir diese Schmerzen jedoch verarbeiten, kann sich sehr unterscheiden. Aber das, was über so viele Jahre ignoriert, pathologisiert, gehasst wurde, ist, dass einfach jede*r eine andere Person lieben kann. Und dass es diese Gefühle eben nicht nur bei heterosexuellen Partnerschaften gibt. Jede Stimme, die diesem Narrativ hinzugefügt wird, kann die grundlegenden Aussagen verändern, dadurch, dass jede Geschichte anders ist. Und das ist eine sehr gute Sache.
MusikBlog: Auf jeden Fall. Hat sich dein eigenes Verhalten zu deiner Queerness und ihrem Einfluss auf dein Songwriting denn verändert?
Sam Vance-Law: Ich denke schon. Die Geschwindigkeit, in der sich Fortschritt in dem Thema momentan ausweitet, ist einfach beeindruckend. Es ist ja sogar schwierig, die Bedeutung von „queer“ überhaupt festzulegen. Und seinen eigenen Platz in dieser schwammigen Definition zu finden, ist auch nicht einfach. Das verändert sich durchgehend – und ich mich selbst auch. Mittlerweile bin ich aber auf jeden Fall ein selbstbewussterer Songwriter. Ich bin richtig, so wie ich bin. Das weiß ich jetzt. Und das muss ich nicht mehr beweisen. Da gibt es keine Abwehrmechanismen mehr, keine Angst. Ich bin richtig so – und wenn es für dich ein Problem ist, dann ist es nur deines. Das ist auf jeden Fall neu für mich.
MusikBlog: Ich glaube, dass diese öffentlichen Debatten über das Thema, gerade auch von großen internationalen Musiker*innen, auch mehr Empowerment in die Queerness bringt.
Sam Vance-Law: Auf jeden Fall. Manche Bereiche der queeren Community können sich auch abspalten. Nicht im Sinne von engeren Verbindungen zueinander, sondern eher im Sinne von Exklusion. Und ich liebe es, dass es aktuell mehr Möglichkeiten gibt, queer zu sein, als Möglichkeiten, andere auszuschließen. Ich liebe es, das müssen wir so weitermachen.
MusikBlog: Gerade die Art, wie du über Liebe singst, ist an sich schon queer, wie ich finde. Normalerweise erwartet man bei Stücken über Liebeskummer ja eher langsame, traurige Arrangements. Aber Songs wie „Someone Else“ oder „Get Out“ sind so fröhlich und upbeat, was ich sehr überraschend fand. Ist das eine Art Bewältigungsstrategie? Oder wolltest du eher die verschiedenen Ebenen des Liebeskummers zeigen?
Sam Vance-Law: Es ging mir um diese Vielschichtigkeit. Liebeskummer ist nicht monoton, nicht nur ein Sound oder eine Farbe. Er steckt ja in jedem Winkel deines Lebens. Er ist in der Freude, der Trauer und den harten Momenten. Er steckt ja sogar in deinem morgendlichen Gang zur Arbeit.
MusikBlog: Hörst du selbst denn eher traurige oder fröhliche Musik, wenn du Liebeskummer hast?
Sam Vance-Law: Ich höre generell sehr wenig Musik. Aber als ich in der Situation war, war ich zwei Wochen lang auf der Suche nach diesem einen traurigen Song, bei dem ich das Gefühl hatte: „Das ist dieser eine Track, der mich da jetzt durchziehen wird.“
MusikBlog: Ja, dieses Suhlen in der eigenen Trauer ist wahrscheinlich auch der gängige Weg. Trotzdem sehr interessant, dass auch so fröhliche Musik helfen kann. Also mir hat das Album auf jeden Fall sehr gefallen.
Sam Vance-Law: Das freut mich! Eine Person geschafft, 7 Milliarden folgen! (lacht)
MusikBlog: Im Vergleich zum ersten Album tummeln sich hier noch mehr Chöre. Wie entscheidest du denn, an welchen Stellen du mehr Stimmen benötigst?
Sam Vance-Law: Meistens ist das gar keine Entscheidung. Meistens höre ich es einfach. Eine der witzigsten Entscheidungen war aber, dass ich immer die Oboe geliebt habe, aber nie wusste, wo ich sie platzieren könnte. Bei dem Song „Cause I Know“ gab es dann plötzlich diese eine Zeile, wo ich direkt dachte „Oh, da muss eine Oboe hin“! Darüber bin ich sehr froh. Andererseits mag ich das Saxophon nicht so gerne – verrate es niemandem. Aber in „Too Soon“ habe ich einfach gespürt, dass hier ein Saxophon passen würde. So ist das einfach, da musste eins hin. Oft ist es also keine Entscheidung im Sinne von „Sind hier genug Stimmen? Ist hier genug Oboe?“, die einzelnen Momente können eben oft nur in diesem einen Instrument oder mit dieser bestimmten Stimme funktionieren. Ich vertraue diesem Gefühl dann einfach.
MusikBlog: Würdest du denn sagen, dass sich dieses Gefühl verändert hat? Gibt es jetzt mehr Sounds als zuvor?
Sam Vance-Law: Auf dem letzten Album gibt es zum Beispiel kein Saxophon und auch keine Oboe. Natürlich verstehe ich mittlerweile Arrangements und Songwriting besser. Aber jeder Song ist in sich ein komplett neuer Spielplatz. Und dann ist die Frage einfach, womit du heute am liebsten spielen möchtest.
MusikBlog: Ich habe an manchen Stellen richtige 80s-Vibes bekommen und musste an die Cover-EP von dir denken. Was bedeutet dir diese Ära denn?
Sam Vance-Law: Die Musikszene ist aktuell zwar sehr divers, aber es gibt definitiv ein 80s-Revival. Dieser Sound ist also sehr aktuell. Häufig wurden damals traurige Texte mit fröhlichen Tönen verbunden – darum ging es in den 80ern einfach. Die traurigste Geschichte aller Zeiten mit dem größten Punch aller Zeiten. Ich bewundere die Ära aber auch für ihre musikalische Extravaganz. Ich habe jetzt keine großen Synthesizer angekarrt, aber definitiv aus dem Raum, den die 80er eröffnet haben, geborgt. Ich habe versucht, aus ganz verschiedenen Räumen zu sammeln.
MusikBlog: Ja, es ist auf jeden Fall ein sehr diverses Album. Aber wo wir schon bei 80s sind – da denkt man natürlich direkt an Drangsal, mit dem du wieder zusammengearbeitet hast. Was bedeutet dir eure künstlerische Verbindung?
Sam Vance-Law: Er war im Musikvideo zu „Get Out“, aber er spielte auch Gitarre für den Song. Max und ich respektieren unsere Musik gegenseitig sehr. Das ist natürlich der bestmögliche Startpunkt für eine musikalische Beziehung. Und wir kommen aus sehr unterschiedlichen musikalischen Hintergründen. Alles, was er mir erzählt, ist neu – und alles, was ich ihm erzähle, ist neu. Das hilft uns sehr, weil wir ständig neue Dinge lernen. Wir arbeiten einfach super zusammen. Bisher haben wir zwar noch nichts co-produziert oder co-geschrieben, aber wir tauchen jeweils auf den Platten auf. Es ist eine musikalische und persönliche Beziehung, die mir viel bedeutet.
MusikBlog: Du hattest ja erzählt, dass die Platte jetzt viel um dich persönlich kreist. Denkst du, dass dieser intime Bezug auch einen Einfluss darauf haben wird, wie sich die Songs auf der Tour anfühlen werden?
Sam Vance-Law: Ja, ich glaube schon. Natürlich war ich total glücklich damit, „Homotopia“ live zu spielen. Aber bei diesem Album kann ich es kaum erwarten. Ich will, dass dieses Album draußen ist, ich will Leuten dabei zusehen, wie sie auf die Songs reagieren, die sie vielleicht gerade brauchen und für die sie gekommen sind, um sie mit mir zu singen. Bei den meisten Shows kommen die Leute, um eine gute Zeit zu haben. Bei diesem Album müssen die Leute keine gute Zeit haben, sie können einfach kommen, wie sie sind. Und ich würde es lieben, für sie zu spielen, denn sie sind die Leute, die sich bei einer Show, wo alle gut drauf sind, am einsamsten fühlen. Bei mir müssen sie sich aber nicht so fühlen. Und darauf freue ich mich sehr.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.