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Acht Eimer Hühnerherzen – Live im Molotow, Hamburg

Hach, vielleicht war Corona doch schön. Ausnahmezustand auf der Reeperbahn. Mehrere 100.000 Menschen. Müll türmt sich am Straßenrand, intensiver Geruch nach Bier und Urin in der Luft. Schlagermove nennt sich diese Respektlosigkeit gegenüber einem kompletten Stadtteil.

Puls geht runter, heile Welt im Molotow Backyard. Gemütliche Gartenstimmung am späten Samstagnachmittag. Gut gefüllt, nicht überlaufen. Chillig entspannt. Akustisch entkoppelt von der Außenwelt.

Max Paul Maria macht den Support. Solider Singer/Songwriter-Sound. Gitarre und Gesang live, Background vom Band. Aufmerksamkeit des Publikums moderat. Das ändert sich, als Herr Johnny Bottrop von Acht Eimer Hühnerherzen den „Mundharmonika Assistenten“ macht und Max Paul Maria an den richtigen Stellen die Mundharmonika vors Micro hält. Jetzt ist die Aufmerksamkeit da. Die zwei Stücke danach deutlich rockiger und kräftiger, die Stimmung kommt.

Acht Eimer Hühnerherzen. Total entspannt und nonchalant kommen sie auf die Bühne. Als wären sie durch Zufall auch hier im Backyard. Intimes Motivationsritual und los geht’s. Nylonsaitenpunk. Akustische Gitarre und Bass.

„Zoni“ vom neuen Album „musik“. Dichte und Volumen überraschen ab dem ersten Takt vom Bass. Empathie-Level auf der Bühne auf Maximum. Sympathie springt sofort über ins Publikum. Ohne die Luft anzuhalten durch die ersten drei Stücke. Da tanzt auch schon ein großer Teil.

Verachtung für den Wahnsinn vor der Türe – „Straße der Gewalt“ wird ein „Hippielied“. Die Gitarre von Apocalypse Vega erzeugt immense Hibbeligkeit. Mit „Sartre“ sind dann schon alle voll dabei. Wippen, Tanzen, Hüpfen. So manche „laute“ Band könnte stolz sein, wenn sie in so kurzer Zeit solche Energie freisetzen könnten. Das Klatschen im Takt schafft das Publikum ohne Moderation.

Herr Bottrop schafft regelmäßig genug Zeit für Vega, um die Gitarre zu stimmen. Braucht es bei Nylonsaiten etwas öfter. Herleitungen teilweise gewagt, dauert etwas länger, bis der Groschen fällt. Die englisch vorgetragene Logikkette Motörhead – Lemmy – Iron Horse – Eisenhüttenstadt ist definitiv der Rekord an Abstraktion.

Akustische Gitarre und Bass kann man durch den Verzerrer jagen. Feedbackloops vor der Box gehen auch. Wieder was gelernt.

„Wüstenplanet“ kommt düsterer und wuchtiger daher als die Stücke davor, sorgt für Tiefe. „Ich wär’ gern Feministin mit Tourette…“, der Refrain von „Endlich Fluchen“ frisst sich in den Kopf. „…oder zumindest superschlau…“. Das spricht ihr aber wohl niemand ab.

Starkes Drumsolo. Bene Diktator schafft es über den Gig hinweg, ein deutlich komplexeres Bild seines Spiels zu zeigen, als es die Aufnahmen erlauben.

Das Publikum hat sich sukzessive umsortiert. Die ersten vier Reihen sind jetzt komplett weiblich dominiert.  Ein Stück jagt das andere. Die Überleitung von der Situation mit Russland zu „Kerosin“ benötigt erneut großes Abstraktionsvermögen.

Trotz der langen Ansagen vergeht die Zeit im Flug. Die drei Herzen verlassen die Bühne nach – ungelogen – 24 Stücken. „Farben“  und „Tränengas“ als Zugabe und schon ist es vorbei. Es ist immer noch taghell. Sänger Bottrop bemängelt den strikten Curfew im Gegensatz zu dem Radau vor der Türe. Das Publikum sieht das offensichtlich genauso.

Wofür braucht es E-Gitarren? Vergesst die Platten, geht zu den Konzerten von Acht Eimer Hühnerherzen.

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