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Nils Frahm – Music For Animals

Werden hier noch Instrumente eingestimmt oder ist das schon die eigentliche Musik? Wem Walgesänge mit Meeresrauschen und den obligatorischen Räucherstäbchen zu esoterisch sind, kann sich gern am neuesten Wurf von Nils Frahm versuchen.

Mit “Music For Animals”, seinem ersten Studiomaterial seit “All Melody” von 2018 und dem damit einhergehenden “All Encores” aus 2019, fühlt man sich ob einer Spiellaufzeit von über drei Stunden initial erstmal den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Dass ausgerechnet der längste Titel mit 27 Minuten den Titel “Briefly” trägt, zeugt zudem von Humor.

Dieses Mammutprojekt ist, wie könnte es anders sein, der Pandemie zuzuschreiben und entstand im Funkhaus Berlin zwischen 2020 und 2022 – also zu jener Zeit, in der selbige oft genug stillzustehen schien. Nils Frahms Intention war es, Musik zu schaffen und einen Zeitgeist einzufangen, der eben jenem Ausnahmezustand entspricht.

Dieses ambitionierte Epos kommt gänzlich ohne Klavier aus, ohne aber seinen Wiedererkennungswert einbüßen zu müssen. Dabei schält sich in “Mussel Memory” eine tranceartige Monotonie heraus und erinnert mit seiner rauen Klanglandschaft an experimentelle Science-Fiction-Filme aus den 1960ern.

Die faszinierende Wirkung riesiger Wasserfälle oder von Blättern an Bäumen im Sturm dienten Frahm als Inspiration. Im Gegensatz zu Werken mit mehreren Akten und Höhepunkten offenbart sich die Natur als kontinuierlich und endlos und so konzipiert der Multiinstrumentalist und Neo-Klassik-Wunderwuzzi ein unverbindliches Angebot für Hörerinnen und Hörer.

Der Komponist selbst zieht als Vergleich Erik Satie heran mit seiner “musique d’ameublement” (auch “furniture music” oder “Einrichtungsmusik”), also kurzen, sich ständig wiederholenden Stücken. Damit spricht Nils Frahm die entgegenkommendste Einladung aller Zeiten für Introvertierte aus, nämlich nach eigenem Ermessen und Gutdünken zu jeder Zeit kommen, gehen und teilnehmen zu können – oder eben auch nicht.

Während es inzwischen kuratierte Playlists für jeden erdenklichen Zweck zum Saufüttern gibt und man Musik damit kontinuierlich eine Leistung und Rechtfertigung der eigenen Existenz abverlangt, soll “Music For Animals” bewusst als zwangloser Kontrahent verstanden werden.

Und doch gelingt das nicht zur Gänze, denn dieses Werk ist so viel mehr als das. Es besänftigt und echauffiert, befreit und fesselt, lullt ein und schärft die Sinne. Als Katalysator vermag es dieser minimalistische Soundtrack, aus einer Alltagssituation ein Abenteuer zu generieren und reicht dabei noch weiter als die eigene Vorstellungskraft.

Ob als im Weltall gestrandete Astronautin oder Geheimagent in einem Action-Blockbuster, das spannungsgeladene “The Dog With 1000 Faces” erzählt mindestens tausend verschiedene Geschichten. Sanfte Brisen an lauen Spätsommerabenden brennen sich mit der unheilvollen Dissonanz von “Sheep in Black And White” urplötzlich in den Nacken, während einen das sehnsüchtige “Right Right Right” auf das Dach des höchsten Wolkenkratzers oder in die Tiefen des dichtesten Waldes entführt.

Das minimalistische Sounddesign birgt unzählige Möglichkeiten zur Interpretation. Es ist trotzdem keineswegs revolutionär, auch nicht für Nils Frahm selbst, stellt diesen Anspruch aber auch gar nicht. Damit ist das zeit- und raumlose “Music For Animals” alles andere als Katzenmusik, vielmehr entfaltet es seine ausladende Pracht wie ein Blauer Pfau.

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