Sammelt ihr auch Urlaubsandenken ? Früher hab ich die nördliche Adria nach kiloweise Muscheln abgegraben, mir irgendwelchen Nippes aufdrehen lassen und letztendlich war’s doch immer dasselbe – außer ein paar Sandkörnern im Gepäck blieb nicht viel vom Urlaub.
Keine Ahnung, ob es den Jungs von Kerala Dust auch so ging, immerhin wäre das aber eine Erklärung für den Bandnamen. Dabei ist der Sound der 2016 in London gegründeten Band alles andere als indisch oriental. Die inzwischen in Berlin und Zürich beheimateten Musiker haben sich eher den progressiven Rockklängen, welche mit Elektronik sphärisch untermalt werden, verschrieben.
Ganz im Sinne von Vorbildern wie The Velvet Underground und Can schleichen die Titel atmosphärisch komprimiert an den geneigten Hörer heran. Die tiefe Stimmlage, die in Erzähllaune von Ängsten und Nöten des urbanen Lebens berichtet, greift die Hörer*innen fest bei den Schultern und drückt sie ein Dutzend Titel lang an sich.
Bereits der Einstieg „Moonbeam, Midnight, Howl“ ist die Blaupause für den Rest von „Violet Drive“. Hypnotisch um die Percussionrhythmik zentriert, versucht sich Sänger Edmund Kenny beschwörend der Liebe zu entziehen.
Der Klangdauerloop fräst sich schnell ins Gehör und weitet dieses für „Violet Drive“. Der Titeltrack zieht das Tempo ein wenig an, verdichtet die Klangmasse von Drums und eindringlichem Gesang um schnarrende Saiten.
„Red Light“ macht aus diesen Zutaten einen mäandernden, coolen Track, der breitbeinig verschlagen im Rotlichtbezirk wildert. Um sich der Anonymität des Nachtlebens hinzugeben, wird der eigene Name in Frage gestellt, bevor sich Saitenspieler Lawrence Howard in zupfenden Fingerspielen verliert.
Irgendwo zwischen grandios und „doch schon mal wo gehört“, stapft „Pulse IV“ taktlastig durchs selbstgeschaffene Gefilde. Fest gekrallt am steten Schlag der Drums, spielen sich die, von Harvey Grant beherrschten, elektronischen Keyboardklänge warm. Die weibliche Begleitstimme erzeugt die Sogwirkung, welche den Titel über fünfeinhalb Minuten beherrscht. Bluesig schnarrend miauen die Gitarren im Hintergrund um Ihre Daseinsberechtigung, die von der Sprechstimme beherrscht wird.
Dem Blues eines Tom Waits bleibt „Jacob’s Gun“ treu. Verraucht schlendernd erzählen Gitarre und Sänger zwei ganz unterschiedliche Geschichten, welche in einsamen Nächten aber zu einer ganz großartigen werden.
„Salt“ hingegen lässt zwiespältig zurück. Klatschende Akustik, exotische minimierte Klangkulisse und ein wortkarger Edmund Kenny lassen zwar Atmosphäre entstehen, die aber entrückt vom Rest des Albums ist.
„Still There“ hat den Hörer aber schnell wieder im Griff der Akustik. Die Keyboards bestimmen diesmal die Dichte der Klangkulisse. Angetrieben von den akustischen Drums ergibt sich eine tolle Dynamik und ein Spannungsbogen, den man selbst mit den verschrobenen Saiteninstrumenten nicht lösen möchte. Ein Klangexperiment das, selten aber doch, den Gesang in den Hintergrund rückt. Aus dem Nirgendwo ergreift die deutschsprachige, weibliche Stimme die Hörer*innen, hypnotisch Mantras vom Alleinsein betend.
„Nuove Variazioni Di Una Stanza“ bereitet sich hingegen, orchestral instrumentiert, darauf vor, das letzte Drittel des Albums elektronisch einzustimmen.
Da verwundert es zunächst, dass „Future Visions“ fast schon soulig warm aus dem Lautsprecher tropft. Erinnert ein wenig an Portishead. Nur besser. Edmund Kenny scheint seine Bestimmung gefunden zu haben – die tieferen Gefilde seiner Stimme lässt er jetzt wie warmen Honig um die Downtempo-Soundkulisse des Titels schmelzen. Da stellen sich wohlig die Nackenhaare auf, während die Drums spielerisch mit der klagenden Bluesgitarre flirten.
Besser macht es „Engels Machine“ leider nicht mehr. Kühl industriell verhangen versteigt sich der Titel langsam zurück in wärmere Klangwelten. Der zweistimmige Refrain bittet darum, diese Maschine zu lieben. Was nach dem warmen Schmelz von „Future Visions“ aber schwer fällt.
Zeit fürs Ende, „Fine Della Scena“. Ein letztes Mal erhebt Kenny seine streichelnde tönende Stimme und lässt sie im Akustikreigen wiegen. Stromunterstützt wagt die Gitarre noch einen Vorstoß in die Dunkelheit der Musik, die hinter diesem Planeten Kerala Dust liegen mag.
„Violet Drive“ überzeugt mit einer sehr dichten, progressiven Atmosphäre. Diese nährt sich aus einer drumbestimmten Klangwelt und der warmen, rauen Stimme von Edmund Kenny. Das Tempo bleibt verhalten im eigenen Klangkosmos, der nur sachte seine Finger nach anderen Einflüssen ausstreckt.
So entstehen neben der zentrifugalen Kraft eines „Pulse IV“ so überraschende Werke wie „Future Visions“. Kerala Dust haben sich wohl ihren ganz eigenen musikalischen Rückzugsort geschaffen. Es wird Zeit, dass wir uns von dort ein paar Andenken mitnehmen.