Ich habe mich schon fast geschämt, fröhlich zu sein – Freya Ridings im Interview

Mit Songs wie „Castles“ und „Lost Without You“ war Freya Ridings ein typischer Fall von von Null auf Hundert. Das zugehörige Debütalbum „Freya Ridings“ erschien 2019 und klang völlig anders als sein jetzt erschienener Nachfolger „Blood Orange„. Kein Wunder – neben Gefühlschaos gab es auch veränderte Visionen und eine Pandemie zu verarbeiten. Ein Gespräch über Mut zum Glücklichsein, die Kraft von Feedback und den Fleetwood-Mac-Vibe.

MusikBlog: Hallo Freya! Schön, mit dir zu sprechen. Wie geht’s dir denn so kurz vor dem Release?

Freya Ridings: Ganz ehrlich: Ich bin super aufgeregt. In diesem Album stecken einfach vier Jahre Arbeit, Blut, Schweiß und Tränen. Aber ich habe es jetzt losgelassen und bin gespannt, was jetzt passiert.

MusikBlog: Das kann ich mir vorstellen. Ich muss zugeben, dass ich sehr überrascht war, als ich das Album gehört habe. Es klingt wirklich ganz anders, als ich es erwartet habe. Auf dieser Platte sind so viele Up-Beat-Tracks!

Freya Ridings: Oh, dankeschön, das liebe ich! Es war wirklich eine bewusste Entscheidung, mehr Energie in der Musik zu haben. Es fühlt sich aber trotzdem noch authentisch an. Vieles, was ich persönlich höre, ist eben Up-Beat aus den 70ern, mit Bläsern, Stimmen, Rhythmen. Für mich war es nach „Castles“ einfach klar, dass ich mehr in dieser Richtung machen will. Natürlich gibt es auch noch ein paar Balladen, aber du hast recht – insgesamt gibt es deutlich mehr schnelle Songs als auf dem letzten Album.

MusikBlog: Du hast auch selbst über die Platte erzählt, dass du mehr Licht und Positivität in deine Musik bringen wolltest. Fiel es dir denn schwer, solche Songs zu schreiben?

Freya Ridings: Es ist schwer, wenn du traurig bist. So viel steht fest. Aber wenn du glücklich bist, ist es überraschend einfach. Ich habe einfach festgestellt, dass ich eine sehr lange Zeit nicht glücklich war. Ich dachte immer, fröhliche Songs zu schreiben wäre das Schwierigste auf der Welt. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich es einfach fühlen musste. Da ich ausschließlich aus persönlichen Erfahrungen heraus schreibe, war das nötig. Ich habe mich schon fast dafür geschämt, fröhlich zu sein. Ich wurde ja als eine Art „Sad Song Girl“ bekannt. Aber ich hoffe, die Leute spüren, dass es weiterhin authentisch ist – nur eben anders.

MusikBlog: Es ist ja auch interessanter und unterhaltsamer, verschiedene Seiten einer Künstlerin kennenzulernen. Als ich diese Platte gehört habe, musste ich an dein Köln-Konzert 2020 denken. Deine Liveshows werden sich ja voraussichtlich sehr anders anfühlen mit diesen neuen Songs. Freust du dich denn darauf, das zu erleben?

Freya Ridings: Auf jeden Fall! Auch aufstehen zu können und über die Bühne zu laufen, ist etwas Schönes. Vorher war ich durch die vielen traurigen Balladen sehr eingeschränkt, auch wenn sie natürlich immer noch Teil meiner Persönlichkeit sind – nur sind sie eben nicht meine gesamte Persönlichkeit. Gerade bei großen Shows, wenn ich beispielsweise bei einem Festival vor 20.000 Leuten spiele, muss die Energie stimmen. Kleine Kinder auf den Schultern ihrer Eltern bei „Castles“ zu sehen, war einfach super schön und ich wusste, dass ich davon mehr wollte.

MusikBlog: In dem Bezug fand ich den Titeltrack und Opener auch sehr inspirierend. Was bedeutet dir „Blood Orange“ und was ist seine Bedeutung für das Album?

Freya Ridings: Ich liebe „Blood Orange“ als Song. Ich wollte die Platte eigentlich „Blood Orange Tree“ nennen und dann wurde der Titel gekürzt. Ich wollte, dass es ein Song zum Feiern wird, einer, bei dem du aber auch all die schmerzhaften, einsamen Stunden akzeptierst, in denen dich Leute nicht zurück geliebt haben. Aber du hast genug Liebe in dir selbst, ob du in einer Beziehung bist oder nicht. Du musst es einfach genießen. Niemand von uns weiß, wie lange wir noch auf dieser Welt haben. Wir müssen uns davon verabschieden, dass uns die Meinungen anderer erst wertvoll machen. Wir müssen uns selbst wertschätzen. Und ich glaube, dieser Kontrast zwischen der Finsternis der Erde und der Helligkeit einer bunten Frucht ist sehr zentral – sie sind zwar weit entfernt, aber auch eng verbunden.

MusikBlog: Ich fand es auch interessant, dass du das Album dafür nutzen wolltest, Dinge zu sagen, die du dich sonst nicht traust auszusprechen.

Freya Ridings: Es ist so viel beängstigender, Musik so zu schreiben. Ich hätte ja auch einfach „Castles 2.0“ veröffentlichen können. Ich weiß ja, dass Leute diese Seite von mir mögen. Aber als es um Songs wie „Perfect“ oder „I Feel Love“ ging, habe ich mich so geschämt. Oder „Weekends“ – es war furchteinflößend, ich gebe da ja offen zu, keine Freund*innen zu haben. Aber für mich war es wichtig, es mir selbst einzugestehen und zu wachsen und ich glaube, ich bin vor dieser Wahrheit lange weggelaufen. Ich habe mich selbst sehr isoliert und zugelassen, traurig zu werden. Beim Ende des letzten Album-Zyklus war ich sehr traurig und ich habe nicht gedacht, dass noch etwas in mir steckt. Zu dem Punkt zu gelangen, an dem diese dunkle Phase hinter mir lag, war wie die 12 Prüfungen von Herkules – nur eben in 14 Songs.

MusikBlog: Umso überraschender dann, dass es so ein erhebendes Album geworden ist. Beim Song „Can I Jump“ geht es ja viel ums Vertrauen und da du auch viel mit anderen Musiker*innen zusammengearbeitet hast, war das ja bestimmt auch ein Thema im Prozess. Welche Rolle hat Vertrauen bei diesem Album gespielt?

Freya Ridings: Eine riesige! Beim ersten Album habe ich fast vor jedem Treffen mit anderen Songwriter*innen geweint, weil ich es nicht wollte. Jetzt habe ich aber die richtigen Leute getroffen. Es ist ein bisschen wie Dating – man spürt schnell, ob jemand auf deiner Seite ist oder nicht. Dadurch, dass ich den Leuten, die sich für mich falsch angefühlt haben, nein gesagt habe, habe ich die richtigen Leute gefunden. Und das fühlt sich toll an. Es war viel einfacher und nicht schmerzhaft oder beängstigend.

Ich habe nicht mehr alles zerdacht und mit ein paar wirklich beeindruckenden Autor*innen zusammengearbeitet. Zum Beispiel Will Bloomfield, der „Blood Orange“ und „Bite Me“ gemacht hat – die haben wir in einer Session vollendet. Ich habe mit anderen Leuten drei Wochen lang gearbeitet und bin mit dem Kopf gegen die Wand gerannt und habe geweint, weil nichts geklappt hat. Und hier haben wir in einer Session zwei Songs geschrieben, die auf dem Album gelandet sind.

Es ist ein großer Unterschied, wenn du Leute an deiner Seite hast, die dich nach vorne bringen. Ich habe gesagt, dass ich die Platte „Blood Orange“ nennen will, bevor ich den Song geschrieben hatte. Andere Produzent*innen haben mir ins Gesicht gelacht und behauptet, dass das dämlich sei. Aber ich liebe es, dass es weird ist – ich habe eine Geschichte, ein Thema. Und für solche Visionen muss man kämpfen. Beim ersten Album habe ich mich teilweise durch die Meinung anderer Leute in die Schranken weisen lassen. Bei diesem bin ich aber dran geblieben, weil ich wirklich an die Vision glaube. Ich bin wirklich dankbar für die neuen Kontakte, die ich hier geschlossen habe – mit ihnen werde ich auf jeden Fall weiterarbeiten. Ich liebe sie!

MusikBlog: Das ist ja auch sehr wichtig. Es ist sicherlich auch beängstigend, sich so vor Leuten zu öffnen, und wenn sie dich nicht respektieren, kann es ja nicht funktionieren.

Freya Ridings: Ja, eben. Ich hatte früher wirklich Panikattacken in Taxen. Einmal bin ich aus einem fahrenden Taxi gestiegen, weil ich nicht zu dieser Session gehen konnte. Denn diese Männer waren vorher so böse zu mir gewesen, das konnte ich mir nicht nochmal antun. Und meine Mutter meinte nur: Das musst du auch nicht. Und ich habe erst dann realisiert, dass ich es wirklich nicht muss. Dann hat sich alles verändert, denn ich habe verstanden, dass ich kein Co-Writing machen muss, außer ich mag die Leute wirklich gerne. Früher war ich in einem mentalen Gefängnis und dachte, ich müsste diese Co-Writings immer annehmen. Dabei muss ich nur auf mein Bauchgefühl hören und das ist alles. Plötzlich kamen die tollsten Leute auf mich zu. Und ich glaube, dieses veränderte Mindset hat den ganzen Verlauf des Albums beeinflusst.

MusikBlog: Und es hat bestimmt auch dazu geführt, dass die Platte jetzt so vielseitig geworden ist. Da sind so viele verschiedene Songs und Sounds enthalten. Wie hast du diesen Prozess denn selbst erlebt?

Freya Ridings: Es ist super interessant. Denn, wenn du es gar nicht versuchst, klappt alles und wenn du etwas unbedingt möchtest, klappt gar nichts. Ich wollte, dass es noch Pop ist, aber gleichzeitig mit einem akustischeren und organischeren Sound. Und ich wollte viele Akustikgitarren, viele Stimmen, echte Bläser, echte Instrumente. Und ich wollte, dass diese Instrumente von echten Leuten gespielt werden. Beim ersten Album waren so viele Leute von der ganzen Welt dabei. Ich habe sie nie getroffen. Einmal kam jemand auf mich zu und meinte „Ich habe das Schlagzeug bei „Castles“ eingespielt“ und ich wusste nicht, wer das war. Das war wirklich merkwürdig, ich habe den Song ja schließlich geschrieben. Für diese Platte wollte ich daher jeden einzelnen Sound aus meinem Kopf von einer echten Person, die ich mag, eingespielt bekommen. Und ich denke, wie beim Kochen spürst du, wenn jemand seine Zeit und Liebe in etwas steckt, um es zu etwas Besonderem zu machen. Genau das wollte ich. Es musste nicht perfekt sein, aber es sollte andere erreichen.

MusikBlog: Das macht das Ganze wahrscheinlich für dich auch nochmal emotionaler und persönlicher.

Freya Ridings: Ja und es ist ein Mix – manche Songs sind poppiger, andere etwas roher. Alleine „Lost Without You“ und „Castles“ sind ja auch so unterschiedlich gewesen und doch bin ich bei beiden so froh, sie geschrieben zu haben, da sie mein Leben geändert haben. Licht und Schatten – man braucht beides.

MusikBlog: Viele der Songs beziehungsweise zumindest ihre ersten Roh-Entwürfe sind ja in deinen Lockdown Streams entstanden. Viele deiner Fans haben sich da mit dir viel über die Songs ausgetauscht – wie würdest du den Einfluss dieser Sessions auf die neue Platte beschreiben?

Freya Ridings: Ohne sie wäre das Album nicht dasselbe. Die Fans waren damals alles für mich. Das sind sie natürlich immer noch, aber auf mir lastete ein großer Druck, ein zweites Album zu machen. Und dann waren wir noch im Lockdown und hatten keine Möglichkeit, eine Show zu spielen. Ich wollte einen Weg finden, mit Leuten in Kontakt zu treten, sie aufzumuntern und ihnen etwas zu geben, worauf sie sich freuen können. Aber auch mein Label war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt, niemand hat mir mit diesem Album geholfen. Ich hatte für dieses Album weniger Hilfe als fürs erste. Ich hatte also all diese Songs und hatte keine Ahnung, welche gut und welche schlecht sind. Und tausende Fans haben dann jede Woche eingeschaltet und meine neuen Songs gehört und sie haben mir gesagt, welche von ihnen weiterverfolgt werden sollten. Und genau die sind ja auch auf dem Album gelandet.

Für viele dieser Songs wäre ich bei Konzerten nicht mutig genug gewesen. Aber als ich da am Klavier meiner Eltern saß, habe ich mich wohlgefühlt und war mutig. Und die Fans haben es geliebt. Sie haben mir die Selbstsicherheit gegeben, mit dieser Art und Weise weiterzumachen. Vielleicht mache ich das sogar nochmal! Ein Album in kompletter Isolation zu machen, wenn man es doch eigentlich mit anderen teilen möchte, ist einfach merkwürdig. Früher haben wir uns ja alle ans Lagerfeuer gesetzt und uns Songs vorgesungen und jetzt ist es das gleiche. Man bekommt dieses direkte Feedback, es fühlt sich wie eine Gemeinschaft an. Klar sind es meine persönlichen Erfahrungen – aber auch welche, die andere teilen.

MusikBlog: Es hilft ja immer, direktes Feedback zu bekommen. Gerade von Fans, die ja das Beste für dich wollen.

Freya Ridings: Auf jeden Fall, ich habe mich so geliebt gefühlt in einer Zeit, wo ich ein gebrochenes Herz hatte. Ich habe mich wirklich isoliert gefühlt und hatte dann doch diesen Support. Wir haben das 14 Wochen lang gemacht und jetzt haben wir 14 Songs auf dem Album.

MusikBlog: Ich habe auch gelesen, dass du auf einem der Songs Schlagzeug spielst. War das eine weitere besondere Erfahrung?

Freya Ridings: Ich habe den Song mit meinem jetzigen Ehemann geschrieben und es war ein Rache-Song, der sich eigentlich um ihn drehte. Es hatte ein wenig Fleetwood-Mac-Vibes, dass ich mit ihm einen Song über ihn geschrieben habe. Aber er hat mir da musikalisch sehr den Rücken gestärkt. Ich hatte den Drum-Beat im Kopf und er meinte „Ja, dann setz dich ans Schlagzeug und spiel. Du kannst das!“ Andere Produzent*innen zuvor haben mich nicht mal ein Instrument berühren lassen. Etwas Handfestes zu machen, war für mich jetzt einfach aufregend. Niemand konnte mir verbieten, es zu machen, da ja Lockdown war. Aber ich bin mir sicher, sie hätten es mir sonst verboten. Aber jetzt ist es zu spät. (lacht)

MusikBlog: Jetzt, wo das Album kurz bevorsteht – worauf freust du dich besonders von dem, was in den nächsten Monaten ansteht?

Freya Ridings: Ich weiß es nicht. Ich glaube, es wird sich wie eine große Erleichterung anfühlen, all diese Ideen loszulassen. Ich bin so dankbar, dass sie dann draußen sind. Und Songs verändern sich auch, wenn man sie veröffentlicht. Sie sind nicht mehr dasselbe. Es ist wie, wenn deine Kinder zur Uni gehen – es sind noch deine, aber sie sind auf einem anderen Level und du schaust zurück und denkst „Gut gemacht, Kids.“ Und ich kann dann andere Songs schreiben und wieder kreativ werden. Ich kann einfach nicht viel Neues schreiben, bevor diese Songs draußen sind. Ich habe aber jetzt einfach mehr zu sagen. Aber ich werde auch die Werbetrommel rühren, weil ich einfach so stolz darauf bin.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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