Was erwartet man, wenn man sich an einem Mittwochabend auf den Weg zum Carlswerk Victoria macht, um den britischen Rockmusiker Paul Weller und seine Band live zu erleben? Vermutlich genau das, was man auch bekommt. Tausende, gut gekleidete Menschen, die das Mod-Revival der 70er und 80er Jahre noch persönlich miterlebt haben und an diesem Abend ihre perfekt sitzenden Jeansjacken gekonnt mit adretten Schieberkappen kombinieren. Auch Hornbrillen und lockere Sakkos sind reichlich vertreten und warten gesittet in den industriellen Hallen des Carlswerks – wenn sie es dahin schaffen.
Denn auf dem Weg zur Location begegnen uns zahlreiche verirrte Personen, die den – zugegeben etwas komplizierten – Weg zum Carlswerk Victoria nur schwerlich finden. Zum Glück gibt es mittlerweile Navigationsapps fürs Smartphone – man stelle sich nur vor, Paul Weller hätte wirklich in den 80ern im Carlswerk gastiert. Lieber nicht, schließlich war der Industriebetrieb da noch in vollem Gange.
Heute hat das Carlswerk Bars, Restaurants, Theater und eben Paul Weller zu bieten. Aber bevor der ehemalige Frontman von The Jam und The Style Council selbst die Bühne betritt und ein Urteil über die Outfits seiner Bewunderer fällen kann, darf ein transnationales Musikprojekt die Zuschauer*innen aufwärmen.
Maxwell Farrington & Le SuperHomard nennt sich die Konstellation, die vom Franzosen Christophe Vaillant (“Le SuperHomard”) und dem Australier Maxwell Farrington (“Maxwell Farrington”) angeführt wird. Maxwell Farringtons Stimme beeindruckt bereits beim ersten Ton. Als Geschichtenerzähler lässt seine Stimme im Publikum Vergleiche mit Scott Walker laut werden, die kaum besser zutreffen könnten. Nach einer knappen halben Stunde muss das Duo und die begleitende Band die Bühne dann verlassen und Platz machen für die letzten Vorbereitungen.
Als Paul Weller höchstselbst die Bühne betritt, gibt es jedenfalls in den ersten Reihen kein Halten mehr. Der Brite ist sich seiner Aura sichtlich bewusst und nimmt die Bühne förmlich ein. Mit “Cosmic Fringes” und “From The Floorboards Up” stehen gleich zu Beginn Songs auf dem Programm, die so auch als Rausschmeißer in der Zugabe Platz gefunden hätten. Heute heizen sie ein und markieren den Beginn einer opulenten Selbstinszenierung – Musikgeschichte zum Anfassen.
Darauf folgen mehrere The Style Council Songs, die beim Publikum besonders gut ankommen. Während “My Ever Changing Moods” werden zahlreiche Blicke im Publikum ausgetauscht, wohl angetrieben von wieder erstarkenden Erinnerungen an vergangene Zeiten.
Ansonsten beeindruckt besonders Paul Wellers großzügig besetzte Band. Von Saxophon-Soli bis hin zu subtilen Schlagabtäuschen zwischen Piano und Bass bietet die Pop-Rock-Ikone alles, was Fans von seiner Show erwarten könnten.
Und selbst Zuschauer*innen, die den britischen Musiker heute zum ersten Mal hören (falls es solche geben sollte) dürften angesichts der Genre-Varietät in seinem Programm die Motivation dazu finden, sich im Nachhinein ausführlich mit den zahlreichen Karrieren von Paul Weller zu beschäftigen.
Mit “Start!” schafft es noch ein The-Jam-Song in die Setlist, mit “Take” ein unveröffentlichter Song, der laut Weller erst im nächsten Jahr erscheinen wird. Die lange Show wirkt klar durchchoreographiert, bietet wenige Überraschungen oder unerwartete Abwechslung, dafür hält Paul Weller auch knapp zwei Stunden durch.
Im Laufe des Sets wird auch das Publikum teilweise etwas lauter, wenn einzelne Passagen der Setlist auch als Hintergrundmusik für ein ausgiebiges Gespräch mit Gleichgesinnten dienen.
Beseelt von der zweistündigen Tour de Force, die Weller auf der Bühne abgefahren hat, und sicherlich auch etwas in nostalgischer Verklärtheit schwelgend, bewegt sich die Masse am späten Mittwochabend wieder vor die Tore des Carlswerks und zur nächsten Station. Dieses Mal etwas entspannter, schließlich gibt es ja höchstens eine Bahn zu verpassen und keinen legendären Mod.