Sollen wir uns eigentlich um alles kümmern? – Culk im Interview

Die Wiener Shoegazer Culk erweitern das ozeanbreite Pop-Spektrum Österreichs um einen Sound, der ebenso melancholisch wie politisch die Bürden ihrer Altersgruppen unter 30 zum Ausdruck bringt. Das dritte Album heißt daher nicht umsonst „Generation Maximum“ und ist eine kraftvolle Mischung aus Trotz und Verzweiflung, über die Sängerin Sophie Löw und Gitarrist Johannes Blindhofer mit MusikBlog gesprochen haben.

MusikBlog: Sophie, Johannes – es ist eigentlich ganz schön, dass ihr jetzt beide hier vor mir sitzt und lächelt. Auf Bildern, die von euch online kursieren, tut ihr das praktisch nie. Hat das was mit dem Konstrukt der Band dahinter zu tun oder euren Mentalitäten?

Johannes: Keine Sorge, es gibt Bilder von uns, auf denen wir lächeln.

Sophie: Besonders auf Instagram.

Johannes: Aber wenn das dein Eindruck war, ist er nicht Teil irgendeiner gewünschten Ästhetik, sondern schlicht Zufall.

Sophie: Andererseits passt dieser Ausdruck natürlich auch zu dem unserer Musik.

MusikBlog: Spiegelt die daher gar nicht unbedingt euch als Personen wider?

Sophie: Doch, doch. Weil sich die meisten Musiker*innen mit ihrer Musik persönlich ausdrücken, ist sie entsprechend ja auch Teil ihrer Persönlichkeiten.

MusikBlog: Schön wär’s, oder?

Sophie: Ich jedenfalls arbeite beim Schreiben eher aus dem Bauch als dem Kopf heraus, habe aber in Österreich Kunst studiert, insbesondere Fotografie und Grafik. Was mich betrifft, ist daher auch das Visuelle intuitiv, entspringt also ebenfalls meiner Persönlichkeit.

Johannes: Wir sind definitiv alle eher dem Grübeln zugeneigt, was allerdings überhaupt nicht ausschließt, uns nicht auch ironisieren zu können.

Sophie: Während man die Melancholie im Alltag gern von sich wegschiebt, um alles schaffen und dennoch Spaß dabei haben zu können, bietet die Musik Ventile dafür, was uns politisch oder gesellschaftlich ansonsten überwältigen würde.

MusikBlog: Mit dem Ziel, auch eurem Publikum Ventile zu bieten?

Sophie: Ja.

MusikBlog: Als Teil der Generation Z habt ihr es da mit zwei Polen zu tun: radikalem Aktivismus, etwa in Gestalt der Letzten Generation, und radikalem Hedonismus als Versuch, sich die Katastrophe schön zu feiern. Ist eure Melancholie da sozusagen ein vermittelndes Element zwischen Konfrontation und Verdrängung?

Johannes: Vor allem ein beobachtendes, würde ich sagen.

Sophie: In unserer Generation und der danach ist so oder so ein Gefühl von Ohnmacht verankert, einer Zukunft entgegenzusehen, die nicht bright ist und auch kaum noch beeinflussbar. Da ist es kein Wunder, dass ihr Humor zunehmend schwarz oder gar sarkastisch wird und die Stimmung melancholisch oder eskapistisch.

MusikBlog: Aber was genau beschreibt darin denn dann euer Albumtitel „Generation Maximums“?

Sophie: Dass ein Zenit erreicht wurde, über den es nicht mehr hinausgeht.

Johannes: Und dass von unserer Generation dennoch zu viel verlangt wird, irgendwie darüber hinaus zu kommen. Als Frage formuliert: Sollen wir uns eigentlich um alles kümmern?

MusikBlog: Also auch den Mist, den das bedingungslose Wachstum vorheriger Generationen euch jetzt hinterlässt?

Johannes: Genau. Zugleich werden wir damit komplett allein gelassen. Wir sollen den ganzen Mist aufräumen. Wir sollen materiellen Verzicht leisten. Wir sollen uns selbst um unsere psychische und physische Gesundheit kümmern. Dem kollektiven Versagen wird unser individuelles Handeln verordnet.

Sophie: Wir befinden uns in einem Zustand permanenter Überforderung.

Johannes: Den man oft nur noch mit Galgenhumor erträgt.

MusikBlog: Umso mehr fällt auf, dass die Platte eher trotzig als deprimiert klingt.

Johannes: Unbedingt. Resignation hilft auch nicht weiter, um ein solidarischere Miteinander zu erreichen. Wir wollen uns ja aufbäumen, da ist Trotz angebrachter als Hedonie.

MusikBlog: Ein Begriff, den ihr auch auf der Platte verwendet.

Sophie: Um dem des Hedonismus andere Dringlichkeit zu verleihen.

MusikBlog: Gleich zu Beginn singst du in „2000“ die Zeile „alles zu viel und alles zu wenig“.

Sophie: Die Idee dazu kam mir, als ich auf Tour eine Doku übers letzte Silvester vorm neuen Jahrtausend gesehen habe. Damals lag überall Hoffnung in der Luft. 23 Jahre später ist davon keine Spur.

Johannes: Die Vorfreude auf das, was kommt, ist vollständig verloren gegangen.

Sophie: Interessanterweise profitieren jüngere Generationen in Europa weiterhin vom Wohlstand, den ihre Eltern mit der massiven Ausbeutung des Planeten erzielt haben. Trotzdem haben gefühlt alle jungen Menschen das Gefühl, die Welt geht zugrunde, und es ist zu wenig Zeit, noch was daran zu ändern.

MusikBlog: Spielen Culk entsprechend für die?

Sophie: Das schon, aber umso schöner wäre es, Ältere würden mal reinhören und dadurch vielleicht Verständnis für Jüngere zu gewinnen. Am Ende bringt es aber doch nur zum Ausdruck, was ich fühle.

MusikBlog: Was euch aber nicht zu einer unpolitischen Band macht.

Johannes: Nein.

Sophie: Wir sind eine politische Band. Geworden.

Johannes: Allerdings schnell geworden.

Sophie: Als ich das erste Mal gespürt habe, welche Resonanz unsere explizit politischen Lieder kriegen, wurde mir schnell bewusst, dass wir strukturelle Themen ansprechen, aber auf eine persönliche, individuelle Ebene bringen wollen.

MusikBlog: Kanntet ihr euch denn schon aus politischen Zusammenhängen?

Johannes: Nein, wir waren einfach befreundet.

MusikBlog: Und wurdet dabei von der fast schon gespenstisch kreativen, einflussreichen Musikszene Österreichs geprägt?

Johannes: Definitiv. Es gab schon bedeutend schlechtere Zeiten, um in Wien mit Musik anzufangen. Da wird von außen zwar vieles hineinprojiziert, aber die Fülle toller Musiker*innen ist einerseits groß, andererseits so überschaubar und familiär, dass alle davon inspiriert werden.

Sophie: Gerade in Wien allerdings – correct me if I’m wrong – geht es weniger ums richtige Vermarkten als darum, sein eigenes Ding zu machen.

Johannes: Wenn du in Deutschland Musik machst, kann es dir relativ schnell passieren, dass du in den großen Studierendenstädten vor ein paar Hundert, wenn nicht gar Tausend Leuten spielst und eine Weile ganz gut davon leben kannst. Das gibt der Markt einfach her. Der österreichische tut das nicht, weshalb es vielen von Beginn an um Inhalte geht, nicht um deren Rentabilität.

MusikBlog: Mit der Konsequenz, dass sich österreichische Musiker*innen eher als Community verstehen?

Sophie: Man kennt sich untereinander schon schnell und häufig.

Johannes: Gerade in Wien, die zwar eine Riesenstadt ist. Aber man trifft sich trotzdem ständig an denselben Spots. Und weil es einen auf Dauer auch nicht weiterbringt, sich an den immer gleichen Wiener Orten totzuspielen, waren wir von Beginn an viel in Deutschland auf Tour. Kleine Städte in Deutschland sind – anders als österreichische – immer noch groß genug für alternative Szenen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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