Möchte man sich selbst bis ans Limit pushen, muss man manchmal zu radikalen Maßnahmen greifen. Dinge tun, die man noch nie getan hat. Sich betrinken. Abrupte Ortswechsel. Eben alles, was die Komfortzone schlagartig aufweicht.

Dehd entschieden sich für letzteres: Das Trio verließ Chicago für einen Roadtrip, der so gar nichts mit Großstadtleben und Gemütlichkeit zu tun hatte. Nach New Mexico ging es, wo Bassistin Emily Kempf kurz zuvor ein Earthship kaufte, ein nachhaltiges Wohnhaus, das mit selbstversorgenden oder passiven Prozessen geheizt und gekühlt wird.

In der Zeit führten alle Dinge für die Band nach Rom, wenn Rom eine an den Haaren herbeigezogene Metapher für konzentriertes Songwriting darstellt. Nach eigenen Angaben hatte ihr Essen, Trinken und Atmen zu der Zeit nur einen Zweck: kreativ zu sein und Songs zu schreiben.

Der Plan ging auf, denn heraus kamen, nach einigen weiteren Zwischenstopps in der Entstehung, die stolzen 14 Songs für „Poetry“, das fünfte Dehd-Album und der Nachfolger vom 2022er Werk „Blue Skies“.

Der Platte ist anzumerken, dass sie einen ganz eigenen Charakter mit sich bringt, der in der menschenleeren Provinz New Mexikos geboren wurde. Dieser Charakter ist gar nicht mehr so verschnörkelt wie in der Vergangenheit, sondern gibt sich nüchtern und geerdet angesichts der Auseinandersetzung mit den eigenen Urinstinkten.

Statt hochmodern und frickelig-frech ist der Indie-Rock des Trios nun poppiger, entschleunigter, gar traditioneller, wenn man Tradition weniger als konservatives Schlagwort und mehr als aufs Wesentliche Heruntergebrochene und Zeitlose betrachtet.

„Poetry“ bettet sich auf ruhigen, meist kaum verzerrten Gitarren, die mal zärtlich süß, mal wohlig warm klimpern – als würden an einem frischen Morgen die ersten Sonnenstrahlen aus den Baumkronen hinauslugen und die Szenerie in goldenes Licht tauchen.

Nur in wenigen Ausnahmemomenten wie dem Intro zu „Mood Ring“ knarzt ein verzerrter Bass in die Stille – bis wieder alles Weiche und Sanfte die Führung übernimmt und poppig-sommerliche Indie-Gefühle aufkommen lässt.

Dehd mussten in gewissen Aspekten die Kontrolle abgeben – zum ersten Mal übernimmt jemand Anderes sowohl die Albumproduktion, als auch den Musikvideodreh – um sich wieder aufs Wesentliche konzentrieren zu können: „Poetry“ konzentriert sich voll auf den Spaß am gemeinsamen Musizieren, auf die Freude des gemeinsamen Machens und Seins.

Die Band selbst fühlt sich dabei wie zu ihrer Anfangszeit und fängt dieses poetische, romantische Gefühl mit dem Albumtitel „Poetry“ ein, für zuhörende Ohrenpaare ist diese Freunde in jedem Moment zu spüren. Und ob man will oder nicht: sie steckt an und wärmt das Herz.

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