Mit den Abläufen der Musikindustrie wurde Ani DiFranco schon in den 1980ern nicht wirklich warm. Ihre eigene Firma gründete sie mit 18, das Label Righteous Babe. Dort vermied sie Formatierung. Und dort erscheint jetzt nahezu unter Ausschluss der Medien-Öffentlichkeit auch das Album „Unprecedented Sh!t“.
Die 53-Jährige wechselt zwischen den Ausdrucks-Modi auf der einen und Geräusch-Spielereien mit kantigen Gitarren-Riffs und verfremdender Elektronik auf der anderen Seite. Der Titelsong fußt am meisten in Loops und Tools. So sperrig, schräg und fordernd, wie er fiept und Grundregeln von Takt und Rhythmus ad absurdum führt, ist der Tune schon Konzept-Kunst.
Die Singer/Songwriterin aus Buffalo nahe New York lässt es gelegentlich auf der neuen Scheibe so krachen, wie man das aus ihren früheren Longplayern kennt. „You Forgot To Speak“ ist solch ein hartes und brillantes Brett mit der alten Energie von Nineties-Alternative-Rock.
Perkussiv und reduziert, mit der Attraktivität von Understatement, das Lust auf mehr macht, startet „Baby Roe“. Die fiebrige Folk-Nummer in den Strophen entpuppt sich im Refrain als explosiv, einheizend, roh und wild.
Ani lässt auf „Unprecedented Sh!t“ also auch ordentlich angestaute Energie raus. Thema mehrerer Tracks sind feministische Motive. „Baby Roe“ handelt von Jane Roe, die 1973 einen legendären Fall vorm US-Supreme Court hatte. Dieser inspirierte DiFranco zu einer Abhandlung über Abtreibung und Adoption.
Angestaut hatten sich schon im Jahr 2011 Texte für Kinderbücher und Ideen für Theaterstücke. Inzwischen kam noch das Zuhause-Bleiben in der Corona-Pandemie hinzu.
Das angejazzte „Virus“ räumt mit der Lähmung in dieser Phase 2020 bis ’22 auf. Das Lied spricht ebenso über das Heilsame: Es habe darin bestanden, Tempo aus der ewigen Spirale der Logik ‚höher, schneller, weiter‘ zu nehmen.
Durch die unterschiedlichen Entstehungs-Phasen und Anlässe der Songs passen diese nicht zwingend zusammen. Dagegen ergibt das Sammelsurium eine abwechslungsreiche Palette.
Immer mittendrin: DiFrancos prägnante Vocals! Die erfahrene Storytellerin kommt in ihrer expressiven Art nahe und dringt in die Aufmerksamkeit des Hörers ein, selbst wenn man die Platte nur mal nebenbei zur Berieselung laufen lässt. Dabei klingt Anis Stimme noch immer recht jung und unverbraucht, manchmal mädchenhaft.
Besonders intensiv gerät ihr Auftritt im weich und skizzenhaft instrumentierten „Thing At Hand“. Lange glibbern hier nur ein paar Bubble-Töne. Der gesamte Text überfällt einen, wie eine zusammen hängende impulsive Rede. Ein engagiertes Manifest.
Ani kotzt sich zum Beispiel über den derzeitigen Stellenwert von Gender aus. „I’m not he or she or they / I’m not gay or bi or straight / I’m just me, and maybe that’s another thing to say“.
Die Geschichtenerzählerin outete sich zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere als bisexuell. In einem Zeitgeist in den Neunzigern, als das noch nicht so üblich war. Geschadet hat es ihr nie. Ihr Beispiel könnte also ermutigen, Energie auf anderes zu verwenden, als sich zu verstecken.
Andere Lyrics zeigen sich metaphorischer und vertrackter, bisweilen kapitalismusfeindlich. Der Drang, dass da jemand unbedingt etwas zu sagen hat, scheint in vielen Augenblicken auf „Unprecedented Sh!t“ durch die mal schöne, mal spröde Musik hindurch.
Mehrmals beweist die Selfmade-Geschäftsfrau auch wieder, wie filigran sie Akustikgitarre spielt. Zwischen verwaschenen und anspruchsvoll zu greifenden Akkorden slidet Ani DiFranco behende.
Für eine wirkliche Alternative zum Mainstream war Ani mit Punk- und Anti-Folk-Attitüde sowie funky Sounds mit Distortion-Effekten immer wieder gut. Und obwohl es inzwischen eine riesige Alternative-Folk-Szene in den USA gibt, orientieren sich die meisten ihrer Protagonist*innen am Erbe uramerikanischer Musiksparten wie Country, Soul und Heartland-Rock. Als gäbe es unabgesprochene Regeln zu befolgen.
DiFranco bleibt von so etwas frei. Ihrer Marke als Anlaufstelle für offene Ohren hält sie die Treue. Wer also nach Kontrast zu Genre-Grenzen und zu feenhafter Zerbrechlichkeit im Folk-Milieu sucht, wird erneut fündig.