Versprach Nilüfer Yanya im paranoia-geprägten “Paralysed” und anderen ersten Songs von ihrem Debütalbum “Miss Universe” noch ein Psycho- und Physio-Wrack-Album, wirkt jetzt gut fünf Jahre später das neue “My Method Actor” im Großen und Ganzen lässig.
Zwischenzeitlich krachten auf “Painless” (2022) mitunter die rockigen und elektrophilen Zutaten wild durcheinander. Manchmal bis zur Verwaschenheit und mit dem Risiko, dass die Musik eher nebenher dudelte. Ohne zu fesseln.
Entsprechend niedrig liegt nun die Latte fürs dritte Werk: Denn die Londonerin kann nur an Klarheit gewinnen. Was für Meisterwerke der kristallklaren Transparenz dabei heraus kommen, überrascht jetzt aber doch. Die Verstärker haben ihr Regiment abgegeben.
“Just A Western” zum Beispiel ist schon fast Folk, aber mit einer Spur Portishead oder 90er-Morcheeba.
Das melancholische “Binding” trägt seine Elegie überzeugend mehr als fünf Minuten lang und strahlt die tief sitzende Lebenserfahrung der mittlerweile 29-Jährigen aus.
In “Mutations” vollzieht sie eine schöne Beschreibung von der Suche nach der richtigen Balance zwischen Nähe und Distanz, Anpassung und Bewahren des eigenen inneren Kompasses. Nilüfer Yanya sagt dazu, die Millionen minimal kleiner Entscheidungen, die wir oft zu treffen hätten, stellten für sie Mutationen dar, mit denen wir uns mit verändern. Was und wie wir entscheiden, trage somit zu unserem Überleben bei.
Die tiefe Intensität der meisten Stücke unterstreicht, dass die Songwriterin sich hier wirklich etwas gedacht zu haben scheint und beflissen in sich hinein horchte.
In diese Richtung geht auch das Method Acting, eine Schauspiel- und Entspannungstechnik, die sie sich zu Eigen machte und die der Platte den Namen gab. Das Ganze hat mit Psychoanalyse, mit einer Art Programmieren von Erinnerungen im Gehirn und mit dem vollständigen Aneignen eines fremden Charakters zu tun.
Wenn es um Entscheidungen geht, war eine ganz sicher nicht mikroskopisch klein: Ein großer Schritt für Nilüfer war ihr Wechsel vom New Yorker Label ATO Records zum Londoner Elektronik-Spezialisten Ninja Tune – für sie gleichzeitig der Beginn eines neuen Lebensabschnitts.
Das Tolle an “My Method Actor” ist – neben Tiefgang und Klarheit sowie Nilüfers persönlicher Weiterentwicklung und der hohen Qualität in Gesang und Produktion – auch das Flirten mit Kammermusik. Jeder zusätzliche Beitrag abseits von Yanyas Gitarrenspiel/Gesang und dem, was Produzent Will Archer beisteuert, gilt hier als großer Kompromiss. Denn er bricht eine kontemplative Arbeitsatmosphäre im Autorenduo auf.
Alles, was es auf die Scheibe schaffte, wurde erkennbar streng aussortiert und fand nur Eingang, wenn es ganz essenziell ist. Damit wirft Nilüfer Yanya jeden Ballast ab und hat etwas Leichtes an sich, inmitten schwerer Themen. Und sie hat viele Hinhör-Tracks.
Die Engländerin nennt das Gesamtergebnis ihr bisher “intensivstes” Werk, und da gebe ich ihr Recht.