Erfolg ist ein zweischneidiges Schwert. Es gibt Höhen und Tiefen. Manchmal fliegt man zu nahe an der Sonne und stürzt in ein Loch. Das musste Dana Margolin, die Frontsängerin von Porridge Radio, am eigenen Leib erfahren. Nach dem Erfolg der letzten Alben „Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky“ und „Every Bad“ war die Musikerin aus Brighton mit ihrer Band lange auf Tour. Eine Tour, die ihr alles abverlangt hat. Am Ende stand der Burnout. Auf dem neuen Album „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ verarbeitet die Sängerin ihre Erfahrungen mit dieser Grenzerfahrung. Kurz vor der Veröffentlichung der Platte trafen wir uns mit Dana zum Interview und sprachen darüber, wie die Musik ihr wieder Kraft gegeben hat. Und wie sie gelernt hat, nein zu sagen.
MusikBlog: Hi Dana. Das Album dreht sich aus meiner Sicht vor allem um zwei Themen: Liebe und Herzschmerz. Warum habt Ihr Euch für den Titel „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ entschieden. Es hätte genauso gut „Fuck You, I Love You“ heißen können.
Porridge Radio: Es geht nicht nur um Liebe und Herzschmerz. Es gibt noch eine andere Seite, die mit Reisen zu tun hat und damit, ständig in Bewegung zu sein. Es gab eine Zeit von anderthalb Jahren, die waren eine einzige, lange Tour. Danach war ich ausgebrannt. Und daraus ist diese Idee entstanden: Wo auch immer du gerade bist, ist alles ständig im Wandel. Aber die Wolken am Himmel, die Vögel in den Bäumen, auf die kannst du dich verlassen, die verändern sich nicht, auch wenn sich alles um dich herum wie Chaos anfühlt.
Es gibt Dinge, die uns erden. Und gerade, wenn man auf Tour ist, kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass man sich an nichts festhalten kann, was einem Sicherheit geben könnte. Stattdessen ist man ständig in Bewegung. Es gibt keinen Moment, um sich zu sammeln. Aber natürlich hat das Album auch mit Herzschmerz zu tun und damit, dass die Welt um einen herum zerbricht. Da ist es wichtig, trotzdem manchmal in den Himmel zu schauen und einfach dankbar zu sein.
MusikBlog: Du hast mal erwähnt, dass du diese Rolle geschaffen hast, die du auf der Bühne spielst. Um dich gegenüber anderen abzugrenzen und davor zu schützen, vielleicht zu viel mit deinen Zuhörer*innen zu teilen. Wie schaffst du es, dich sowohl auf der Bühne als auch nach einem Auftritt vor Burnout zu schützen?
Porridge Radio: Wir haben für längere Zeit aufgehört, auf Tour zu gehen. Dadurch konnte ich mich schützen. Songs zu schreiben und vor Publikum zu singen, hat immer zwei Seiten: Es ist einerseits aufregend und erfüllt mich mit Mut. Es kann aber auch weh tun. Wir mussten lernen, nein zu sagen, Leuten abzusagen und uns ein eine Auszeit zu gönnen. Und jetzt sind wir zurück, und es fühlt sich wirklich gut an.
MusikBlog: Woraus entsteht für dich bessere Musik: Wenn du dich verliebst oder wenn dir das Herz gebrochen wird?
Porridge Radio: (lacht) Ich glaube, das ist eine dumme Frage. Ein Song ist gut, wenn ich alles gegeben habe. Wenn ich mich von der Geschichte mitreißen lasse. Wenn ich dem Song erlaube, mich dorthin mitzunehmen, wo ich hingehen soll. Ich glaube nicht, dass irgendetwas Gutes aus Schmerz entsteht. Ich schreibe lieber, wenn ich fröhlich bin. Viele Songs auf dem Album sind aus Liebe entstanden, auch wenn sie manchmal von negativen Dingen wie Burnout handeln. Das ist manchmal etwas kompliziert. Gute und schlechte Dinge gehören untrennbar zusammen.
MusikBlog: Ich meine eher diesen Gegensatz von Schmetterlingen im Bauch auf der einen Seite und dem Gefühl von Melancholie auf der anderen. Das muss nicht unbedingt Schmerz bedeuten. Aber ich finde es spannender, wenn jemand darüber singt, wie er seine Schwierigkeiten und seinen Schmerz überwindet. Und wie jemand in manchen Augenblicken einfach seine ganze Wut heraus schreit. Daraus entsteht für mich die beste Art von Kunst.
Porridge Radio: Ja, natürlich. Dann geht es vielleicht eher darum, nicht zu bewerten, was besser oder schlechter ist. Man sollte alles zulassen. Manchmal möchtest du fröhliche Musik, die dich aufbaut. Und manchmal möchtest du traurige Musik. Für jede Stimmung gibt es die passende Musik. Und deshalb sind Herzschmerz und Liebe gleich wichtig für mich, keines von beiden ist besser als das andere.
MusikBlog: Lass uns über den Sound des neuen Albums sprechen. Die Musik klingt dramatischer und theatralischer als auf den vorherigen Alben.
Porridge Radio: Ja, das stimmt. Gefällt es dir?
MusikBlog: Definitiv. Mir gefällt, dass die Musik auch im Theater oder einem Musical vorkommen könnte. Sie hat diesen performativen Charakter, der sich von den vorherigen Alben abhebt. Es erinnert mich an „Mellon Collie And The Infinite Sadness“ von The Smashing Pumpkins. „Mellon Collie“ ist manchmal etwas gekünstelt, aber es hat auch diesen theatralischen Touch.
Porridge Radio: Ich habe dieses Album noch nie gehört.
MusikBlog: Solltest Du aber. (lacht)
Porridge Radio: Ich weiß, es gehört zu den Klassikern.
MusikBlog: Was hat für Euch diesen Wandel zum Theatralen ausgelöst?
Porridge Radio: Ich finde nicht, dass es theatralisch klingt. Aber ich glaube schon, dass sich meine Art zu schreiben geändert hat. Übrigens auch die Art, wie wir als Band die Musik aufgenommen haben. Es sollte live und unmittelbar klingen, ohne im Nachhinein zu viel daran zu verändern. Vielleicht wird es dadurch intensiver. Die Leute können direkt hören, wie es ist, mit uns im Studio zu sein. Als Band haben wir uns davon verabschiedet, alles auf Hochglanz poliert klingen zu lassen. Stattdessen haben wir das Chaos und die Intensität einer Live-Performance bevorzugt.
MusikBlog: Wenn du auf der Bühne stehst, bist du dann zu 100% authentisch? Oder hast du über die Zeit eine Rolle entwickelt, die du spielst? Um vielleicht auch die Erwartungen deiner Fans zu erfüllen?
Porridge Radio: Jeder Musiker wird dir dasselbe sagen: Es ist eine Mischung aus beidem. Häufig verschwimmt die Grenze zwischen der Person, die die Songs schreibt, und der Person, die die Songs auf der Bühne singt. Es gibt nie diese eine echte Version meiner Selbst, die ich zu jeder Zeit bin. Ich bin immer eine Kombination aus verschiedenen Versionen von mir selbst, die miteinander interagieren. Und ich lerne ständig, welche Version ich zu einem bestimmten Zeitpunkt bin. Ich glaube nicht, dass es ein authentisches Selbst außerhalb der Kunst gibt. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass Kunst die Realität darstellt. Alles befindet sich ständig im Fluss.
MusikBlog: In der Musikindustrie muss man eine gewisse Seite von sich zeigen, damit die Fans sich besser mit dem Künstler identifizieren können. Schadet es eigentlich deiner „Vermarktbarkeit“, wenn du den Leuten erzählst, dass du nicht immer ein und dieselbe Person bist?
Porridge Radio: Ich versuche, nicht so darüber zu denken. Ich gehe auch nicht auf Instagram und erzähle über mein Leben und wie mein Tag war. (lacht) Ich versuche nicht, über Dinge wie Vermarktung nachzudenken, weil es die Freude an der Musik zerstört. Wir sind als Band noch lange nicht auf dem Level, wo alles spielend einfach ist und uns alles in den Schoß fällt. Es ist schwierig, sich als Band in der Musikindustrie zu behaupten. Man sollte Musik eher der Musik willen machen und den Prozess wertschätzen. Sich von Dingen wie „Vermarktbarkeit“ herunterziehen zu lassen, zerstört deine Seele.
MusikBlog: Aber fühlt ihr euch immer noch wie eine Indie-Band? Oder ist es nicht ein Vollzeit-Job geworden?
Porridge Radio: Ja natürlich. Die Band ist mein Leben geworden. Aber wir haben nicht das Gefühl, es „geschafft“ zu haben. Als Künstler musst du dich immer noch um viele Dinge selbst kümmern, auch wenn man bei einem Label unter Vertrag steht. Das geht auch anderen Bands so, die schon weiter sind als wir.
MusikBlog: Aber haben euch nicht damals die Leute nach „Every Bad“ gesagt: Jetzt habt ihr es geschafft?
Porridge Radio: Klar war das unser Durchbruch. Wir hatten den Plattendeal, wir sind durch Nordamerika und Europa getourt. Aber es ist trotzdem immer noch harte Arbeit. Und ich frage mich: Wenn ich jetzt mit der Musik aufhöre, würden mich die Leute dann vergessen? Ich weiß es nicht. Es fühlt sich jedenfalls nicht so an, als hätten wir es geschafft.
MusikBlog: Dann frage ich mal direkt: Würdest du mit der Musik weitermachen, auch wenn sich keiner eure Alben anhört?
Porridge Radio: Ich habe schon immer Lieder geschrieben. Und ich werde auch weiterhin Lieder schreiben. Ohne Lieder kann ich nicht existieren. Ich liebe es einfach, Musik zu machen und auf Tour zu gehen. Ich kann mich erinnern, dass ich mir schon als kleines Kind Songs ausgedacht und gesungen habe. Die Menschen haben immer schon Lieder geschrieben, das ist einfach zutiefst menschlich. Es gibt diese immense Tradition von Songs, die weit zurück geht. Und diese Tradition verbindet uns mit all den Menschen, die vor uns gelebt haben. Und das betrifft jede Art von Kunst. Wenn du das Gefühl hast, es machen zu müssen, dann wirst du es auch machen. So geht es mir mit dem Schreiben von Liedern. Ich nehme es mir nicht bewusst vor, es passiert einfach. Die Musik fließt aus mir heraus.
MusikBlog: Kommt diese Sicht auf Musik von deinem Studium der Anthropologie?
Porridge Radio: (lacht) Nein, das ist einfach etwas, das wahr ist. Menschen machen einfach Musik. Genauso, wie Leute kochen, Bilder malen oder Geschichten erzählen. Es gibt einfach Dinge, die uns zu Menschen machen.
MusikBlog: Kommen wir mal zu deiner Art zu singen. Ist dieser Wechsel von melodischen Parts und rauen Schreien ein Versuch, dieses Paradigma aufzubrechen von „Frauen singen, Männer schreien“?
Porridge Radio: So habe ich es noch nie gesehen. Ich denke schon, dass meine Performance einen sehr geschlechtsspezifischen Aspekt hat. Die meiste Musik, mit der ich aufgewachsen bin, wurde von Männern gemacht. Das waren meist Bands, wo ein Typ zu Gitarrenmusik geschrien hat. Der durfte schlecht singen und wurde dafür trotzdem als Legende gefeiert. Aber wenn Frauen das machen, erhalten sie nicht die gleiche Art von Bewunderung. Und wenn ich auf der Bühne schreie, merke ich schon, dass die Leute sich damit schwer tun. Da gibt es auf jeden Fall einen großen Unterschied.
Ich habe es aber nie bewusst getan, als Gegenpol zu männlichen Musikern. Ich habe einfach angenommen, dass ich genauso bin wie die anderen. Und erst mit dem aufkommenden Erfolg habe ich gemerkt, dass ich eben nicht genauso wahrgenommen werde wie die Männer. Die Leute reagieren anders auf mich. Und das versuchen wir, als Band zu hinterfragen.
MusikBlog: Aber achtest du jetzt mehr auf die Reaktion der Leute, oder scheißt du einfach drauf?
Porridge Radio: Ich scheiß einfach drauf. Ich schreie sowieso schon in meinen Liedern, und das werde ich auch weiterhin machen. Darum geht es auch auf dem Album. Musik zu machen und ständig live zu singen, das hat mir geholfen, mich mehr mit dem Thema „Gender“ in der Musik zu beschäftigen. Erst durch das ständige Machen konnte ich mich mit dieser Frage wirklich auseinandersetzen.
MusikBlog: In einem Interview hast du mal gesagt, dass Musik einen reinigenden Effekt haben kann, fast wie bei einer Religion. Folgst du einer bestimmten Religion, oder ist Musik eine Form von Religion für dich?
Porridge Radio: Ich glaube, ich habe meine eigene Form von Religion. Ich bin jüdisch, und diese Religion war immer schon ein wichtiger Teil meines Lebens. Es gibt aber auch eine andere Art von Religion, die weniger kodifiziert ist. Sie umgibt mich überall, und da geht es vor allem um meine Beziehung zum Universum. Und das prägt natürlich viel von dem, was ich im Leben mache.
MusikBlog: Habt ihr deshalb auch während der Pandemie die Live-Session in der Kirche St. Giles in London gemacht?
Porridge Radio: Wir haben tatsächlich schon in mehreren Kirchen gespielt. Kirchen sind wunderschöne Orte, um Musik zu spielen. Es ist einfach etwas anderes, als auf einer normalen Bühne zu spielen.
MusikBlog: Wir leben heutzutage in einer Zeit der digitalen Aufmerksamkeitsstörung. Alle streamen Lieder statt Alben. Es scheint, dass die Singles wichtiger sind als das eigentliche Album. Ohne „vermarktbare“ Singles hat man es schwer. Hat euch das beim neuen Album beeinflusst? Habt Ihr mehr Wert auf Singles gelegt, statt auf dem Album eine durchgehende Geschichte zu erzählen?
Porridge Radio: Für uns als Band sind Alben wichtig. Wir hören Musik meistens vor allem als Alben, nicht als Singles. Zwar kann jeder Track auf „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ für sich allein stehen. Das ist unser Anspruch, dass auf einem Album kein Song sein sollte, der sich nicht auch allein behaupten könnte. Aber das hat jetzt nicht den Grund, dass die Singles an sich „vermarktbar“ sein sollten. Es ist einfach so, dass ich eine Unmenge an Liedern geschrieben haben, und aus denen haben wir die besten ausgewählt. Und die fügen sich alle in den Gesamtkonzept des Albums ein.
MusikBlog: Was ist Dein Lieblingslied auf dem neuen Album?
Porridge Radio: Ich liebe es, „You Will Come Home“ zu spielen. Das Lied ist aufregend und gibt mir viel Energie. Ich liebe das Tempo und die Steigerung des Liedes.
MusikBlog: Und bei welchem Song wird es schwer, ihn live aufzuführen? Weil du dich vielleicht künstlerisch und emotional sehr verletzlich machst?
Porridge Radio: Ich denke, dass die Art und Weise, wie ich schreibe, bedeutet, dass alle Lieder eine gewisse Verletzlichkeit haben. Und eigentlich geht es viel weniger um die einzelnen Songs, sondern vielmehr darum, wie ich in die Shows komme und wie ich mich um mich selbst kümmere und Resilienz aufbaue. Es geht darum, wie ich Raum schaffen kann, um mich vor und nach den Shows zu schützen.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.