Punk-Explosion in der ausverkauften Münchner Tonhalle: Amyl And The Sniffers haben gestern Abend für knapp 1,5 Stunden das Publikum zum gemeinschaftlichen Vergessen der Welt da draußen gebracht und die Realität neu kalibriert.
Ihr drittes Album „Cartoon Darkness“ – der Anlass der aktuellen Tour – ist vor vier Wochen erschienen und bereits mit Schwung in die Top 10 der deutschen Album-Charts gebrettert.
Fotopässe waren von der Band nicht zugelassen und ab dem dritten Song wusste man auch warum. Doch zunächst starteten die Australier um Sängerin Amy Taylor mit „Freestyler“ von den Bomfunk MC’s vom Band, das nahtlos in den Opener „Doing In Me Head“ vom neuen Album überging.
Amy Taylor, als punk-poetische Furie mit ventilator-wehenden Haaren und nie still stehendes Energiebündel, beherrschte die Bühne als Kombination aus Rebellion und Präzision – mit Sonnenbrille und Lederjacke, auf deren Rücken passend „Ignoring The Fantasy“ aufgestickt war.
Währenddessen zelebrierte ihre Band mit Bassist Fergus Romer, der ab und zu mit eigenen Ansagen und Publikumsanimationen eingriff, Gitarrist Declan Martens und Drummer Bryce Wilson einen akustischen Aufstand, bei dem jeder Gitarrenriff wie eine politische Botschaft klang.
Taylor verwandelte die Halle in einen sozialen Resonanzraum und in einen safe space für alle – die Crowdsurfenden bestanden zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen (was man selten sieht), nicht als Reflex, sondern aus Überzeugung.
Nach einigen Songs war Amy warm gelaufen und ihre sartoriale Guerilla-Taktik eskalierte. Die Sonnenbrille, erst Schutzschild gegen die Konformität, war gefallen. Ihre Lederjacke, zuvor Rüstung der Rebellion, war ihren Schultern entglitten und was blieb, war ein schwarzes Transparenz-Manifest – ein hauchdünnes Bodysuit-Kleid, das mehr entblößte als verhüllte, eine textile Kriegserklärung an bürgerliche Schamgrenzen.
Amy Taylors Bewegungen waren choreographierte Anarchie, ihre geschrienen Ansagen – in und zwischen den Songs – ein messerscharfes Skalpell gesellschaftlicher Konventionen.
Die über 20 Songs umfassende Setlist war ein wilder Ritt durch die Topografie des Ungehorsams. Songs wie „Tiny Bikini“, „Jerkin'“ oder der Rausschmeißer „Got You“ entlarvten die Banalität des Normalen mit der Präzision eines Chirurgen.
Amyl And The Sniffers dekonstruierten nicht nur Musikgenres, sie sprengten Wahrnehmungsgrenzen. Zwischen Noise, Punk und einer fast schon philosophischen Wildheit entstand ein Gesamtkunstwerk der „Working Class Music“.
Amyl And The Sniffers haben gestern bewiesen: Musik kann mehr sein als Unterhaltung – sie kann ein Widerstandsmodus sein. Jeder Ton war ein Aufschrei, jede Bewegung eine Kampfansage an die Langeweile des Alltags. Das war kein Konzert. Das war ein kollektiver Befreiungsakt.