„The Singer Not The Song“, heißt ein Titel der Rolling Stones von 1965. Er bezog sich zwar nicht auf Musik, doch die Wendung wurde zum geflügelten Wort, um auf besondere Cover-Versionen aufmerksam zu machen, und sie passt wie ein Schlüssel in sein Schloss beim Album „Torso“ der Österreicherin Soap&Skin.

Der letzte Tonträger von Soap&Skin war ein Soundtrack ohne Worte, zum Film „Des Teufels Bad“ (aktuell im Kino), in dem sie auch die Hauptrolle spielt. Ihr letztes Album „From Gas To Solid / You Are My Friend“ liegt schon sechs Jahre zurück.

Wenig Vergleichbares wie „Torso“ fand sich in diesem Jahr, das so sehr das Timing und kleine Nuancen in der Klangerzeugung liebt, auskostet und feiert, wie das, was Soap&Skin aus ihrem Dutzend gecoverter Lieder heraus kitzelt.

Um davon zu profitieren, muss man die broken beats, die Neo-Klassik, den Lo-Fi-Ambient und den Drum and Bass auf „From Gas To Solid / You Are My Friend“ genauso wenig mögen wie das Debütalbum „Lovetune For Vacuum“ von 2009.

Der Erstling bewies damals seine Expertise vor allem auf dem Gebiet des fragilen, aber doch eleganten Alternative-Songwriter-Pop. Für „Torso“ hingegen reicht es aus, Musik – gleich welchen Genres – überhaupt zu mögen. Schon holt die Wahl-Wienerin einen ab.

Die einzige überspannende Klammer zwischen den Tracks ist Anja Plaschgs weiche und wallende Klavier-Arbeit. Ansonsten erhebt sie jedes einzelne Song-Juwel zu einer phänomenal neon leuchtenden Blüte, die man pflücken will.

Der Strahlkraft ihrer Kammermusik kann man sich aus verschiedenen Gründen schwer entziehen: Das Drama, das die 34-Jährige in ihre Vorträge packt, geht den meisten Originalen ab.

Manche Kompositionen sind wahrliche Schwergewichte der Musikgeschichte, an die sich selten jemand heran traut. Sie sind mit der ersten Version so zwingend verschmolzen und im kollektiven Popkultur-Gedächtnis verankert, dass man sich eine abweichende Darbietung sowieso bis dato kaum vorstellen konnte.

Und schließlich reiften Soap&Skins Stimme und Ausdrucksreichtum, heute hat sie nichts Niedliches mehr an sich, sondern entfacht raue Stürme mit ihrem Organ.

Im Doors-Remake „The End“ merkt man das oft. Wenn Soap&Skin zum Beispiel eine Zeile wie „Desperately in need of some stranger’s hand“ markerschütternd hervor hebt und damit einen Moment besonders beleuchtet, der im Original mit Jim Morrisons Stimme vergleichsweise untergeht.

Es steht Plaschg gut an, dass sie mit mehreren Film-Soundtracks und als Schauspielerin Erfahrung sammelte und sich beim Covern schon in den letzten zehn Jahren an forderndes Material wagte. So inszenierte sie etwa ein gesamtes Bowie-Album gemeinsam mit ihren Kolleginnen Lætitia Sadier und Anna Calvi in der Hamburger Elbphilharmonie.

Von besagtem „Blackstar„, dem letzten (und posthum erschienenen) David Bowie-Werk, zwackt Soap&Skin „Girl Loves Me“ ab. In einer leidenschaftlichen und rumpligen Theater-Fassung reitet sie eine wilde Jagd nach Gefühlen. Lebhaft performt sie mit dem Kehlkopf-Überschlag einer Nina Hagen. Bratsche, Cello und Marschtrommel umrahmen ihren Monolog.

Bühnen-Hintergründe im Umgang mit fremdem Liedgut und mit der eigenen Sprech-Stimme kommen Soap&Skin sehr zupass, wenn sie etwa aus der halluzinativen und brutalen Mord-Ballade „The End“ mehr denn je den Textinhalt herauskehrt. Bei The Doors galt dieser Klassiker aus dem Jahre 1967 vor allem als wiederkehrendes letztes Stück ihrer Konzerte – über die Handlung machte sich das Publikum da vermutlich kaum Gedanken.

„The End“ spielt mit einem Motiv aus einem Chopin-Klavierstück, und Anja Plaschg bekennt sich in ihren musikalischen Einflüssen zum Beispiel zum russischen Pianisten Rachmaninov. Ganz gleich, ob sie sich Rock-, Elektro-Pop- oder Folk-Nummern vorknöpft: Der Flügel dominiert fast alles.

Diese Liebe zu den Tasten mutet sehr interessant an, wenn Soap&Skin etwa den frankophonen 80er-Evergreen „Voyage, Voyage“ der Ikone Desireless traktiert. Diesen Ohrwurm nahm Soap&Skin 2012 schon für ihren Zweitling „Narrow“ auf. Nun, in ihrer „Lifetime Version“ agiert sie noch dräuender, taucht tief in die im Song genannten Gewässer, den Ganges, den Amazonas und in einen Ozean ein. Versunken schwimmt sie in ihrem Klavierspiel, so scheint es.

Dass Soap&Skin mit John Cale bereits anno 2009 ein Nico-Tribute spielte, verblüfft nun gar nicht mehr, hört man sich ihre unglaubliche, intensive, bedrückende, selbstsichere und rührende Aufnahme von „Pale Blue Eyes“ an, einem der frühesten Stücke von Velvet Underground. Renommierte Größen wie Patti Smith und R.E.M. scheiterten schon gnadenlos an Interpretationen davon, und kaum jemand wagte es, „Pale Blue Eyes“ auf ein Studioalbum zu packen. Es scheint sehr schwierig zu sein, das so zu spielen, dass es sich nicht brav und lahm anhört, doch bei Soap&Skin wirkt es sogar mystisch.

Der selbst oft und gerne covernden Cat Power zeigt sich Anja genauso famos gewachsen wie dem theatralen Tom Waits, einer Hans Zimmer-Film-Komposition für einen Chor der Solomon-Inseln in melanesischer Sprache oder dem Classic Rock-Kracher „What’s Up“ der 4 Non Blondes mit Acapella-Intro, Loop-Maschine, Knarz-Lärm, Zitter- und Echo-Effekten, Kirchenorgel, Dekonstruktion und Sopran-Gesang.

Hier kommen sie punktuell wieder zum Vorschein, die broken beats, und reanimieren einen vom Dudelfunk tot gespielten Hit. „Torso“ leistet sich viele Überraschungen und ist ein staunenswert frisches Cover-Werk.

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