Clipping. – übersetzt etwa „Ausschnitt“ oder „Verschnitt“ – nennt sich das Projekt, das die Produzenten William Hutson und Jonathan Snipes 2009 ins Leben riefen. Das nun vorliegende, mittlerweile sechste Album „Dead Channel Sky“ folgt auf die viel beachteten und gefeierten Werke „There Existed An Addiction To Blood“ (2019) und „Visions Of Bodies Being Burned“ (2020).
West Coast, Los Angeles? Damit assoziiert der unbedarfte Rezensent erst mal Jim Morrison, schwankend auf dem Sunset Strip, breit wie Nachbars Dachshund nach einer Familienpackung Rumkugeln. Dann noch dieses Ding aus den Neunzigern, das – einmal gehört – nie wieder das auditive Gedächtnis verließ:
Warren G – „Regulate“. Sternstunde des G-Funk. Ach ja, und dann vielleicht noch Ice-T, N.W.A. und Snoop Dogg. Womit wir der Sache schon näher kommen.
Man stopfe einen Raum mit Samplern, Vintage-Synthesizern und Drum Machines voll. Gebe eine Kiste mit einer Bande junger Katzen hinzu. Starte das Aufnahmegerät, öffne die Kiste, und verlasse möglichst schnell den Raum – so erscheint „Dead Channel Sky“ auf den ersten Blick.
Der erste Track, „Intro“, startet mit mit dem gequälten Krächzen eines Modems, aus Zeiten, als die Internetleitung noch so eng war wie die Arterien eines Kettenrauchers. Als man während des Downloads eines Musikstücks getrost seinen Wocheneinkauf erledigen konnte.
„Change The Channel“ erinnert in seiner Nervosität und Aggressivität an den Big-Beat-Track „Firestarter“ von The Prodigy. Innerhalb Tracks wie „Dodger“ oder „Simple Degradation“ lassen sich Anleihen an die frühen Einstürzende Neubauten entdecken.
Insgesamt kommt „Dead Channel Sky“ weniger düster und dystopisch daher als seine beiden Vorgänger, auch weniger homogen und eher in Mixtape-Attitüde.
Trotz unzähliger Vintage-Bezüge ist das Klangbild der Produktion überaus modern, nahezu futuristisch. Da erinnert kaum noch etwas an den spartanischen Sound der technischen Ikonen aus alten Hip-Hop-Tagen: Fairlight CMI, Mellotron, Roland TR-808.
Gerade diese historischen Anleihen an Industrial, Noise, Psychedelic und vielem mehr drücken dem in die Jahre gekommenen Hip-Hop den grellen Stempel „Experimental“ auf, machen „Dead Channel Sky“ damit zu etwas Neuartigem, zu einer kleinen Enzyklopädie in Sachen Musikgeschichte der letzten 50 Jahre, einem Nachschlagewerk für die Ohren.
Das Album ist alles andere als leicht zugänglich. Die erste Begegnung ließ etwas ratlos zurück. Zugegebenermaßen auch ein wenig enerviert. Doch mit jedem Hördurchgang eröffnen sich neue Räume, gibt es neue Symbiosen zu entdecken.
Die jungen Katzen hetzen hyperaktiv über Synthies und Sampler. Aber das machen sie mit Methode. Bis das auditive Gedächtnis wieder zuschlägt. Womit sich der Kreis schließt.