Matt Berninger suhlt sich auf „Get Sunk“ in simuliertem Seelenschmerz. Das zweite Soloalbum des Frontsängers von The National ist die Fortsetzung der längsten Midlife-Crisis aller Zeiten.

Man stelle sich Matt Berninger am See vor. Er sitzt dort vor einer einsamen Holzhütte. Und schlürft einen teuren Drink. Von Zeit zu Zeit tauchen Nebelgestalten aus dem See auf. Zuerst sind es nur Schemen. Sie verwehen rasch wieder. Ein Windhauch genügt.

Dann nehmen die Schemen feste Formen an. Formen von Menschen. Szenen. Erinnerungen. Der Sänger sitzt auf seinem Schaukelstuhl und schaut diesem Schauspiel zu. Er streicht sich durch den sorgsam ungepflegten Bart. Legt sein Kinn in Denkerpose.

Dann setzt er zum Gesang an. Seine Baritonstimme schwebt über den kristallklaren See. Er fasst die Eindrücke in Worte. Gibt ihnen eine Form jenseits bloßer Vorstellung.

Und doch bleibt der Sänger passiv. Er lässt die Formen aus dem Nebel aufsteigen. Und beschreibt sie. Er schaut. Und beschreibt. Nichts weiter. Hier singt ein gut situierter Künstler jenseits der 50. Über Probleme von Zwanzigjährigen. Über irgendwelche Probleme.

Hier suhlt sich einer in simulierten Schmerzen. In einer endlosen Midlife-Crisis aus Liebe und Schmerz und ganz viel Selbstmitleid. Diese düstere Simulation realer Probleme zieht sich durch „Get Sunk“ wie ein mit edlem Wein getränkter Faden.

Und dabei ist das musikalische Niveau wie immer auf höchstem Niveau. Melodie und Gesang vereinen sich zu einem leidenschaftlichen Appell an die Lust und das Leben.

Künstler wie Nick Cave und Billy Corgan von The Smashing Pumpkins fallen in eine ähnliche Kategorie. Aber im Gegensatz zu Berninger nimmt man ihnen den Weltschmerz ab. Man nimmt sie ernst in ihrem lakonischen Humor und ihrer poetischen Selbstverstümmelung.

Bei Matt Berninger bleibt jedoch der Eindruck der simulierten Leidenschaft. Er beschreibt seine Probleme wie die Schatten in Platons Höhlengleichnis. Es sind zwar Probleme. Aber sie scheinen ob der realen Welt da draußen nur wie das Geplapper eines wohlhabenden Mannkindes.

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