Wenn Fotos etwas über Musik verraten, dann ist es wohl jenes, das Avery Tucker allein in seinem Studio zeigt. Im Hintergrund sehen wir musikalisches Equipment, ein gerahmtes Bild von Prince. Und vorn: Tucker, Gitarre spielend, mit ernstem Blick.

Ernst geht es auf „Paw“, dem ersten Soloalbum des in Los Angeles geborenen Künstlers, zweifellos zu. Vermittelt durch eine so raue wie durchlässige Sound-Struktur glauben wir, unmittelbar mit dem erzählenden Subjekt verknüpft zu sein.

Erste Bekanntheit errang Tucker 2013 mit der Gründung der Indie-Rockband Girlpool. Zusammen mit Harmony Tividad erschienen vier abwechslungsreiche Studioalben, ehe man 2022 nach Veröffentlichung des Schlusssteins „Forgiveness“ getrennte Wege ging.

Dass auch die musikalische Loslösung von der langjährigen Mitstreiterin durch die Zeilen des neuen Albums wabert, darf angenommen werden. Jedenfalls entwickelt sich „Paw“ schnell zu einer Art Zwiegespräch über Trennung und Selbstfindung.

Tuckers Selbstfindung vollzog sich dabei auf vielen Ebenen. Darauf verweist auch das gerahmte, vom 86er-Album „Parade“ stammende, Bild von Prince. Eine Referenz, die nicht nur als Verneigung vor Prince‘ musikalischem Genie, sondern auch vor seiner souveränen Darstellung von Gender-Fluidität verstanden werden kann.

Auf „Like I’m Young“, dem Opener des 11 Lieder starken Debüts, kreuzt Tucker – vermutlich mit Blick auf die eigene Reise von Cleo zu Avery – jene Fluidität mit den binären Ansprüchen der anderen. „How far I am from being a man?”, fragt er im ersten Kehrvers flüsternd.

Nahezu drei Minuten lauschen wir den teilweise schonungslos intimen Lyrics, ehe sich im letzten Refrain das Schlagzeug zu Wort meldet und der Song der zuvor gedrosselten Kraft freie Bahn lässt. Tucker wiederholt nun brüllend den Refrain – ein Preisen der eigenen Verletzlichkeit.

Verletzlich und kraftvoll – ein Ensemble, das mit dem eine Hundepfote zeigenden Albumcover evoziert werden soll – geht es auch auf den weiteren Stücken zu. So zum Beispiel auf dem von einem hinreißend brüchigen Beat begleiteten Trennungslied „Malibu“.

Auch wenn uns die unaufdringliche, manchmal fast konventionelle Instrumentierung des Albums nur wenig Spektakel bietet, fungiert sie doch als gelungene Ergänzung zum wechselvollen Gesang des US-Amerikaners. Dies beweist auch das eingängige „Big Drops“.

Am stärksten ist „Paw“ aber dort, wo sich die musikalische Untermalung wie in „Sunkiss“ aufs Minimalste reduziert und wir gebannt Tuckers Texten lauschen, die uns Einblick gewähren in die Innenwelt eines jungen Menschen auf der Suche nach sich selbst.

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